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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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würde zum Gesicht eines mehr oder weniger gewöhnlichen Buben werden, den man nüchtern und prosaisch würde anfassen müssen, und der keinen Grund mehr haben würde, solcher Behandlung mit der Ironie zu begegnen, mit der Nepo meinen pädagogischen Anlauf beobachtet hatte. Und doch war hier etwas – und jener Elfenspott schien der Ausdruck des Wissens davon –, was einen außerstand setzte, an die Zeit und ihr gemeines Werk, an ihre Macht über diese holde Erscheinung zu glauben, und das war ihre seltsame In-sich-Geschlossenheit, ihre Gültigkeit als Erscheinung
des Kindes
auf {676} Erden, das Gefühl von Herabgestiegensein und, ich wiederhole es, lieblichem Botentum, das sie einflößte, und das die Vernunft in außerlogische, von unserem Christentum tingierte Träume wiegte. Sie konnte die Unvermeidlichkeit des Wachstums nicht leugnen, aber sie rettete sich in eine Vorstellungssphäre des Mythisch-Zeitlosen, Gleichzeitigen und neben einander Bestehenden, worin die Mannesgestalt des Herrn keinen Widerspruch bildet zu dem Kinde im Arm der Mutter, das er auch ist, das immer ist und immer vor anbetenden Heiligen sein Händchen zum Kreuzeszeichen erhebt.
    Welche Schwärmerei! wird man sagen. Aber ich kann nichts anderes tun, als meine Erfahrung wiedergeben und die tiefe Unbeholfenheit einbekennen, in die das leicht schwebende Dasein des Kleinen mich immer versetzte. Ich hätte mir ein Beispiel nehmen sollen – und versuchte auch, es zu tun – an Adrians Betragen, der kein Schulmann war, sondern ein Künstler, und die Dinge nahm, wie sie sich gaben, augenscheinlich ohne Gedanken an ihre Wandelbarkeit. Mit anderen Worten: er verlieh dem unaufhaltsamen Werden den Charakter des Seins, er glaubte ans Bild, und das war ein Glaube von einer gewissen Gelassenheit und Gemütsruhe (so schien es mir wenigstens), der, bildgewohnt, sich auch durch das unirdischste der Bilder nicht aus der Fassung bringen ließ. Echo, der Elfenprinz war gekommen, – nun gut, man mußte ihn nach seiner Natur behandeln und weiter kein Aufhebens machen. Das schien mir Adrians Standpunkt. Natürlich war er weit entfernt von gefalteten Mienen und Trivialitäten wie »Nun, mein Jung', immer brav?« Doch andererseits überließ er die »Ach, du selig's Kindl«-Ekstase den einfachen Leuten draußen. Sein Verhalten zu dem Kleinen war von versonnen lächelnder oder auch ernster Zartheit, ohne Schöntuerei, ohne Geflöte, ohne Zärtlichkeit sogar. Tatsächlich habe ich ihn das Kind niemals auf irgend eine Weise liebkosen, ihn kaum sein Haar berühren sehen. Nur, {677} daß er gern Hand in Hand mit ihm ins Feld spazieren ging, das ist wahr.
    Mich in der Wahrnehmung zu beirren, daß er das Nefflein vom ersten Tage an zärtlich liebte, daß dessen Erscheinen in seinem Leben hellichte Epoche gemacht hatte, vermochte sein Benehmen nun freilich nicht. Gar zu unverkennbar war, wie tief, innig, glücklich der süße, leichte, gleichsam spurlos gehende und dabei in gravitätische alte Worte gekleidete Elfenreiz des Kindes ihn beschäftigte und seine Tage füllte, obgleich er ihn nur stundenweise um sich hatte, die Wartung des Knäbleins selbstverständlich den Frauen zufiel, und dieses, da Mutter und Tochter viel anderes auszurichten hatten, auch oft an sicherem Orte sich selbst überlassen blieb. Von der Maserkrankheit war ihm ein starkes Schlafbedürfnis, wie ganz kleine Kinder es haben, zurückgeblieben, dem er am Tage, auch außerhalb der zur Ruhe bestimmten Nachmittagsstunden viel nachgab, wo immer er gerade war. Er pflegte »'Nacht!« zu sagen, wenn der Schlummer ihn ankam, wie er es abends beim Zubettgehen sagte, aber das war sein Abschiedsgruß überhaupt: er sagte es zu jeder Tageszeit, wenn er wegging, oder ein anderer wegging, – statt »Adieu«, »Lebewohl« sagte er »'Nacht!« – es war das Gegenstück zu dem »'habt!«, mit dem er stets ein Genossenes quittierte. Er gab auch wohl das Händchen bei seinem »'Nacht!«, bevor er einschlief, im Grase oder im Stuhl, und ich habe Adrian gefunden, wie er im rückwärtigen Garten, auf einem sehr schmalen, nur aus drei zusammengenagelten Brettern bestehenden Bänkchen sitzend, Echos Schlaf zu seinen Füßen bewachte. »Vorher hat er mir sein Händchen gegeben«, berichtete er, als er mich, aufblickend, erkannte. Denn meine Annäherung hatte er nicht bemerkt.
    Was Else und Clementine Schweigestill mir berichteten, war, daß Nepomuk das artigste, fügsamste, unverdrießlichste Kind sei, das ihnen je

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