Doktor Faustus
ihn, im Vertrauen gesagt, scheine es ihr manchmal, als rede er irre.
Mit Bangen begab ich mich zu ihm. Er saß an seinem Arbeitstisch und blickte bei meinem Eintreten nur flüchtig und gleichsam geringschätzig auf. Erschreckend blaß, hatte er die geröteten Augen aller Bewohner des Hauses und bewegte geschlossenen Mundes die Zunge mechanisch irgendwo seitlich am Inneren der Unterlippe hin und her.
»Du, guter Mann?« sagte er, als ich zu ihm getreten war und ihm die Hand auf die Schulter gelegt hatte. »Was willst du hier? Das ist kein Ort für dich. Mach wenigstens dein Kreuz, so, von der Stirn zu den Schultern, wie du's als Kind zu deinem Schutze gelernt hast!«
Und da ich ein paar Worte des Trostes und der Hoffnung sprach –
»Spar dir«, unterbrach er mich rauh, »die Humanistenflausen! Er nimmt ihn. Wollte er's kurz machen! Vielleicht kann er's nicht kürzer machen mit seinen elenden Mitteln.«
Und er sprang auf, lehnte sich gegen die Wand und preßte den Hinterkopf gegen die Täfelung.
{691} »Nimm ihn, Scheusal!« rief er mit einer Stimme, die mir ins Mark schnitt. »Nimm ihn, Hundsfott, aber beeil dich nach Kräften, wenn du denn, Schubjack, auch dies nicht dulden wolltest! Ich hatte gedacht«, wandte er sich plötzlich leise-vertraulich an mich, schritt vor und sah mich mit einem verlorenen Blicke an, den ich nie vergessen werde, »daß er dies zulassen werde, dies vielleicht doch, aber nein, woher soll der Gnade nehmen, der Gnadenferne, und gerade dies wohl mußt er in viehischer Wut zertreten. Nimm ihn, Auswurf!« schrie er auf und trat wieder zurück von mir, wie ans Kreuz. »Nimm seinen Leib, über den du Gewalt hast! Wirst mir seine süße Seele doch hübsch zufrieden lassen müssen, und das ist deine Ohnmacht und dein Ridikül, mit dem ich dich ausspotten will Äonen lang. Mögen auch Ewigkeiten gewälzt sein zwischen meinen Ort und seinen, ich werde doch wissen, daß er ist, von wo du hinausgeworfen wurdest, Dreckskerl, und das wird netzendes Wasser sein für meine Zunge und ein Hosianna dir zum Hohn im untersten Fluch!«
Er bedeckte das Gesicht mit den Händen, wandte sich um und lehnte die Stirn gegen das Holz.
Was sollte ich sagen? Was tun? Wie solchen Worten begegnen? »Lieber, um alles, beruhige dich, du bist außer dir, der Schmerz spiegelt dir Unsinniges vor«, sagt man ungefähr und mag aus Ehrfurcht vorm Seelischen, besonders wenn es sich um einen Menschen handelt, wie diesen, nicht an körperliche Kalmierungen und Herabsetzungen, nicht an das Bromural denken, das im Hause ist.
Auf meinen bittenden Trost antwortete er wieder nur:
»Spar dir's, spar dir's und mach dein Kreuz! Da oben geht's zu. Mach's nicht für dich nur, sondern gleich auch für mich und meine Schuld! – Welche Schuld, welche Sünde, welch ein Verbrechen« – und er saß nun wieder am Schreibtisch, die Schläfen zwischen den geschlossenen Händen –, »daß wir ihn {692} kommen ließen, daß ich ihn in meine Nähe ließ, daß ich meine Augen an ihm weidete! Du mußt wissen, Kinder sind aus zartem Stoff, sie sind gar leicht für giftige Einflüsse empfänglich …«
Nun war ich es wahrhaftig, der aufschrie und ihm entrüstet das Wort verbot.
»Adrian, nein!« rief ich. »Was tust du dir an und quälst dich mit was für absurden Selbstbezichtigungen einer blinden Schickung wegen, die das liebe, vielleicht für diese Erde zu liebe Kind hätte ereilen können, wo es auch war! Sie mag uns das Herz zerreißen, soll uns aber nicht der Vernunft berauben. Du hast ihm nichts als Liebes und Gutes getan …«
Er winkte nur ab. Ich saß bei ihm wohl eine Stunde und sprach ihn hie und da leise an, worauf er Antworten murmelte, die ich kaum verstand. Dann sagte ich, ich wollte unseren Kranken besuchen.
»Tu' das nur«, erwiderte er und fügte hartherzig hinzu:
»Aber red ihn nicht an, wie damals, mit ›Nun, mein Jung‹, immer brav' und so weiter. Erstens hört er dich nicht, und dann wär's wohl überhaupt gegen den humanistischen Geschmack.«
Ich wollte gehen, aber er hielt mich auf, indem er mich bei meinem Nachnamen rief: »Zeitblom!«, was ebenfalls sehr hart klang. Und als ich mich umwandte:
»Ich habe gefunden«, sagte er, »
es soll nicht sein
.«
»Was, Adrian, soll nicht sein?«
»Das Gute und Edle«, antwortete er mir, »was man das Menschliche nennt, obwohl es gut ist und edel. Um was die Menschen gekämpft, wofür sie Zwingburgen gestürmt, und was die Erfüllten jubelnd verkündigt haben, das
Weitere Kostenlose Bücher