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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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daß das beinahe die Definition Gottes ist. Imitatio Dei – mich wundert, daß das nicht verboten ist. Vielleicht ist es verboten. Mindestens ist es bedenklich, – ich will damit nur sagen: ›bedenkenswert‹. Schau her: Die energischste, wechselvollste, spannendste Folge von Geschehnissen, Bewegungsvorgängen, nur in der Zeit, aus Zeitgliederung, Zeit-Erfüllung, Zeit-Organisation allein bestehend, ins konkret Handlungsmäßige einmal ungefähr gerückt durch das wiederholte Trompetensignal von außen. Höchst nobel und großsinnig ist das alles, gehalten geistvoll und eher nüchtern, auch an den ›schönen‹ Stellen, – weder sprühend, noch allzu prächtig, noch koloristisch sehr aufregend, nur eben meisterhaft, daß es nicht zu sagen ist. Wie das alles gebracht und gewendet und hingestellt ist, wie zu einem Thema hingeführt und ein Thema verlassen, aufgelöst wird, in der Auflösung sich Neues vorbereitet, die Füllfigur fruchtbar wird, so daß es nicht eine leere oder flaue Stelle gibt, wie der Rhythmus sich federnd umschaltet, eine Steigerung anläuft, Zuflüsse von mehreren Seiten aufnimmt, reißend anschwillt, in brausenden Triumph ausbricht, den Triumph selbst, den {120} Triumph ›an sich‹, – ich mag es nicht schön nennen, das Wort Schönheit war mir immer halb widerwärtig, es hat so ein dummes Gesicht, und den Leuten ist lüstern und faul zumute, wenn sie's sagen. Aber es ist
gut
, gut im Extrem, es könnte nicht besser sein, es dürfte vielleicht nicht besser sein – –«
    So sprach er. Es war eine Sprechweise, die in ihrer Mischung aus intellektueller Selbstkontrolle und leichter Fieberhaftigkeit auf mich unbeschreiblich rührend wirkte: rührend, weil er das Fieberhafte darin bemerkte und Anstoß daran nahm; des Tremolos in seiner noch knabenhaft spröden Stimme widerwillig gewahr wurde und sich errötend abwandte.
    Ein mächtiger Schub musikalischer Kenntnisnahme und erregter Beteiligung ging damals in sein Leben, um dann für Jahre, wenigstens scheinbar, völlig zum Stillstand zu kommen.

X
    Während seines letzten Schuljahres, als Ober-Primaner, begann Leverkühn, zu allem Übrigen, mit dem nicht obligatorischen und von mir auch nicht betriebenen Studium des Hebräischen und verriet damit die Richtung, in der seine beruflichen Pläne lagen. Es »stellte sich heraus« (absichtlich wiederhole ich diese Wendung, die ich gebrauchte, als ich von dem Augenblick berichtete, wo er mir mit einem Zufallswort sein religiöses Innenleben entdeckte) – es stellte sich heraus, daß er Theologie studieren wollte. Die Nähe des Abgangsexamens verlangte eine Entscheidung, die Wahl einer Fakultät, und er erklärte, seine Wahl getroffen zu haben: erklärte es auf Befragen seinem Onkel, der die Brauen hochzog und »Bravo!« sagte, erklärte es spontan seinen Eltern zu Buchel, die es noch wohlgefälliger aufnahmen, und hatte es mir schon früher kundgegeben, wobei er durchblicken ließ, daß er das Studium nicht als Vorbereitung für den praktischen Kirchen- und Seelsorgedienst, sondern für eine akademische Laufbahn auffasse.
    {121} Das sollte wohl eine Art von Beruhigung für mich sein und war es auch, denn ihn mir als Predigtamtskandidaten, Hauptpastor, oder selbst als Konsistorialrat und Generalsuperintendenten zu denken, war mir höchst unlieb. Wäre er wenigstens katholisch gewesen, wie wir es waren! Sein leicht einzubildender Aufstieg, die Stufen der Hierarchie hinan, zum Kirchenfürsten, hätte mich eine glücklichere, gemäßere Perspektive gedünkt. Aber sein Entschluß selbst, die Gottesgelahrtheit zum Beruf zu erwählen, war etwas wie ein Chock für mich, und ich glaube wohl, daß ich die Farbe wechselte, als er ihn mir eröffnete. Warum? Ich hätte kaum zu sagen gewußt, welchen er denn sonst hätte fassen sollen. Eigentlich war nichts mir gut genug für ihn; das heißt: Die bürgerliche, empirische Seite jeder Berufsart wollte mir seiner nicht würdig scheinen, und vergebens hatte ich mich immer nach einer umgesehen, bei deren praktischer, gewerbsmäßiger Ausübung ich ihn mir recht vorstellen konnte. Der Ehrgeiz, den ich für ihn hegte, war absolut, und dennoch fuhr mir ein Schrecken ins Gebein bei der Einsicht – der sehr deutlichen Einsicht –, daß er seinerseits seine Wahl aus
Hochmut
getroffen hatte.
    Gelegentlich hatten wir uns wohl darüber geeinigt, oder richtiger: waren der oft geäußerten Ansicht beigetreten, daß die Philosophie die Königin der Wissenschaften sei.

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