Doktor Faustus
für ihn persönlich, für seine Berufsperspektive, die Musik auf den Stand herabzusetzen, den sie einst, in {124} seiner Meinung nach glücklicheren Zeiten, im Kultus-Verbande eingenommen, hatte bei seiner Berufswahl mitgewirkt. Wie die profanen Forschungsdisziplinen, so wollte er auch die Musik unterhalb der Sphäre sehen, der er selbst als Adept sich weihte, und unwillkürlich schwebte mir, seine Meinung versinnlichend, eine Art von Barock-Gemälde, ein riesiges Altarblatt vor, worauf alle Künste und Wissenschaften in unterwürfig darbringender Haltung der apotheosierten Gottesgelehrsamkeit ihre Huldigung darbrachten.
Adrian lachte laut über meine Vision, als ich ihm von ihr erzählte. Er war vorzüglicher Dinge damals, zum Spaßmachen sehr aufgelegt – begreiflicherweise; denn ist nicht der Augenblick des Flüggewerdens und anbrechender Freiheit, wenn das Tor der Schule sich hinter uns schließt, das Stadtgehäuse, in dem wir herangezogen worden, sich auftut und die Welt uns offen liegt, der glücklichste oder doch der erregend erwartungsvollste in unser aller Leben? Durch seine musikalischen Ausflüge mit Wendell Kretzschmar in größere Nachbarstädte hatte Adrian ein paarmal am weltlichen Draußen im voraus genippt; nun sollte Kaisersaschern, die Stadt der Hexen und Sonderlinge, des Instrumentenlagers und des Kaisergrabes im Dom, ihn endgültig entlassen, und nur noch besuchsweise, lächelnd wie einer, der anderes kennt, sollte er wieder in ihren Gassen wandeln.
War es so? Hat Kaisersaschern ihn jemals freigegeben? Hat er es nicht mit sich genommen, wohin immer er ging, und ist er nicht von ihm bestimmt worden, wann immer er zu bestimmen glaubte? Was ist Freiheit! Nur das Gleichgültige ist frei. Das Charakteristische ist niemals frei, es ist geprägt, determiniert und gebunden. War es nicht »Kaisersaschern«, was aus meines Freundes Entschlusse sprach, Theologie zu studieren? Adrian Leverkühn und diese Stadt, – gewiß, das ergab zusammen wohl Theologie; nachträglich fragte ich mich, was ich {125} denn sonst erwartet hatte. Er widmete sich später der Komposition. Aber wenn es sehr kühne Musik war, die er schrieb, – war es etwa »freie« Musik, Allerweltsmusik? Das war es nicht. Es war die Musik eines nie Entkommenen, war bis in die geheimste genialisch-skurrile Verflechtung hinein, in jedem Kryptenhall und -hauch, der davon ausging, charakteristische Musik, Musik von Kaisersaschern. –
Er war, sage ich, sehr aufgeräumt damals, und wie denn nicht! Vom mündlichen Examen auf Grund der Reife seiner schriftlichen Arbeiten dispensiert, hatte er sich mit Dank für alle Förderung von seinen Lehrern verabschiedet, bei denen der Respekt vor der Fakultät, die er erwählt, die geheime Kränkung zurückdrängte, die seine geringschätzige Mühelosigkeit ihnen immer zugefügt hatte. Immerhin hatte der würdige Direktor der Gelehrten Schule der Brüder vom gemeinen Leben, ein Pommer namens Dr. Stoientin, der sein Professor im Griechischen, Mittelhochdeutschen und Hebräischen gewesen war, es bei der privaten Abschiedsaudienz an einem Mahnwort in dieser Richtung nicht fehlen lassen.
»Vale«, hatte er gesagt, »und Gott mit Ihnen, Leverkühn! – Der Segensspruch kommt mir vom Herzen, und ob nun Sie dieser Meinung sind oder nicht, ich fühle, daß Sie ihn brauchen können. Sie sind ein Mensch von reichen Gaben, und Sie wissen es – wie sollten Sie es nicht wissen? Sie wissen auch, daß Der dort oben, von dem alles kommt, sie Ihnen anvertraute, denn ihm wollen Sie sie ja darbringen. Sie haben recht: Natürliche Verdienste sind Verdienste Gottes um uns, nicht unsere eigenen. Sein Widerpartner ist es, durch Hochmut zu Falle gekommen er selbst, der trachtet, es uns vergessen zu lassen. Das ist ein arger Gast und brüllender Löwe, der geht und sucht, welchen er verschlinge. Sie sind von denen, die allen Grund haben, vor seinen Schlichen auf der Hut zu sein. Es ist ein Kompliment, das ich Ihnen da mache, nämlich dem, was Sie {126} von Gottes wegen sind. Seien Sie's in Demut, mein Freund, nicht in Trutz und Poch; und bleiben Sie eingedenk, daß Selbstgenüge dem Abfall gleichkommt und dem Undank gegen den Spender aller Gnaden!«
So der wackere Schulmann, unter dem ich später noch an dem Gymnasium Lehrdienst versah. Adrian berichtete mir lächelnd von der Kommunikation auf einem der vielen Feld- und Waldspaziergänge, die wir in jener Osterzeit vom Hofe Buchel aus machten. Denn dort verbrachte er nach
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