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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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gleichzeitig ein Aufleben des Studiums der katholisch-mittelalterlichen Philosophie, eine Hinwendung zum Neu-Thomismus und zur Neu-Scholastik. Auf diese Weise kann freilich die liberal verblaßte Theologie wieder tiefere und stärkere, ja glühendere Farben annehmen; sie kann den ästhetisch-altertümlichen Vorstellungen, die man unwillkürlich mit ihrem Namen verbindet, wieder gerechter werden. Der gesittete Menschengeist aber, nenne man ihn nun bürgerlich oder lasse ihn eben einfach als gesittet gelten, kann sich dabei eines Gefühls des Unheimlichen nicht erwehren. Denn die Theologie, in Verbindung gebracht mit dem Geist der Lebensphilosophie, dem Irrationalismus, läuft ihrer Natur nach Gefahr, zur Dämonologie zu werden. –
    Dies alles sage ich nur, um zu erklären, was ich mit dem Unbehagen meine, das der Aufenthalt in Halle und die Teilnahme an Adrians Studien, die Vorlesungen, denen ich als Hospitant, um zu hören, was er hörte, an seiner Seite folgte, mir zuweilen erregten. Verständnis für diese Beklemmung fand ich {136} bei ihm mitnichten, denn er liebte es wohl, sich über theologische Fragen, die im Colleg berührt, im Seminar erörtert worden waren, mit mir zu unterhalten, aber jedem Gespräch, das der Sache an die Wurzel gegangen wäre und der problematischen Stellung der Theologie unter den Wissenschaften selbst gegolten hätte, wich er aus und vermied also gerade das, was nach meiner leicht gequälten Empfindung allem übrigen hätte vorangehen sollen. So war es übrigens ja auch in den Vorlesungen, und so verhielt es sich beim Verkehr mit seinen Commilitonen, den Mitgliedern der christlichen Studentenverbindung »Winfried«, der er aus äußeren Gründen sich angeschlossen hatte, und deren Gast auch ich zuweilen war. Davon vielleicht noch später. Hier will ich nur sagen, daß diese jungen Leute, teils bläßlich kandidatenhafte, teils bäuerlich robuste, teils auch distinguiertere Gestalten mit dem Gepräge der Herkunft aus gut akademischer Umwelt, – daß sie eben Theologen waren und sich als solche mit anständigem Gottesfrohsinn gebärdeten. Aber wie man Theolog sein kann, wie man unter den geistigen Umständen der Gegenwart darauf verfällt, diesen Beruf zu wählen, es sei denn, man gehorche einfach dem Mechanismus einer Familienüberlieferung, darüber ließen sie sich nicht aus, und von meiner Seite wäre es zweifellos eine taktlose Anzapfung gewesen, sie deswegen ins Verhör zu nehmen. Eine so radikale Fragestellung wäre allenfalls bei alkoholisch enthemmten Gemütern, im Verlauf einer Kneiperei, am Platze und aussichtsvoll gewesen. Aber es versteht sich, daß die Verbindungsbrüder vom »Winfried« den Vorzug hatten, nicht nur die Mensur, sondern auch das »In die Kanne steigen« zu verschmähen und also immer nüchtern, das heißt: kritisch aufrührenden Grundfragen unzugänglich waren. Sie wußten, daß Staat und Kirche geistliche Beamte brauchten, und darum bereiteten sie sich auf diese Laufbahn vor. Die Theologie war ihnen etwas Gegebenes, – und etwas historisch Gegebenes ist sie ja freilich auch.
    {137} Ich mußte es mir gefallen lassen, daß auch Adrian sie als ein solches hinnahm, obwohl es mich schmerzte, daß ungeachtet unserer in Kindertagen wurzelnden Freundschaft eine dringlichere Nachfrage mir bei ihm so wenig, wie bei seinen Commilitonen, erlaubt war. Darin zeigte sich, wie wenig er einen an sich heranließ und wie unüberschreitbare Grenzen bei ihm der Vertraulichkeit gesetzt waren. Aber sagte ich nicht, daß ich seine Berufswahl als bedeutend, als charakteristisch empfunden hätte? Habe ich sie nicht mit dem Namen »Kaisersaschern« erklärt? Oft rief ich diesen zu Hilfe, wenn die Problematik von Adrians Studiengebiet mich plagte. Ich sagte mir, daß wir beide uns als rechte Kinder des Winkels deutscher Altertümlichkeit erwiesen, worin wir aufgebracht worden waren: ich als Humanist und er als Theolog; und wenn ich mich umsah in unserem neuen Lebenskreis, so fand ich, daß der Schauplatz sich zwar erweitert, aber nicht wesentlich verändert hatte.

XII
    Halle war, wenn auch keine Großstadt, so doch eine große Stadt von mehr als zweihunderttausend Einwohnern, aber trotz allen neuzeitlichen Massenbetriebes verleugnete es, wenigstens im Stadtkern, wo wir beide wohnten, nicht den Stempel hoher Alterswürde. Meine »Bude«, wie man studentisch sagt, lag in der Hansastraße, einem Gäßchen hinter der Moritzkirche, das ebensogut zu Kaisersaschern seinen verschollenen

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