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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Steigerung war gut. Erst sagst du ›Sie‹ zu uns, dann bringst du ein ›ihr‹ zustande, und ganz zuletzt kommt das ›wir‹, daran zerbrichst du dir fast die Zunge, das gewinnst du dir am allerschwersten ab, du hartgesottener Individualist.«
    Den Namen wollte Adrian nicht annehmen. Das sei ganz falsch, sagte er, er sei gar kein Individualist, er bejahe durchaus die Gemeinschaft.
    »Theoretisch vielleicht«, erwiderte Arzt, »mit Ausschluß Adrian Leverkühns, von oben herab.« Über die Jugend spreche er auch von oben herab, so als ob er nicht dazu gehöre, und sei ganz unfähig, sich einzuschließen und einzufügen, denn was die Demut betreffe, von der wisse er nun wohl freilich nicht allzuviel.
    Es sei doch hier nicht die Rede von Demut gewesen, parierte Adrian, sondern im Gegenteil von selbstbewußtem Lebensgefühl. Und Deutschlin stellte den Antrag, daß man Leverkühn zu Ende reden lassen solle.
    »Es war weiter nichts«, sagte dieser. »Man ging hier von dem Gedanken aus, daß die Jugend ein näheres Verhältnis zur Natur habe, als der bürgerlich ausgereifte Mensch, – also etwa wie die Frau, der man ja auch, im Vergleich mit dem Mann, eine größere Naturnähe nachsagt. Ich kann da aber nicht folgen. Ich finde nicht, daß die Jugend mit der Natur auf besonders vertrautem Fuße steht. Viel eher verhält sie sich scheu und spröde {173} zu ihr, eigentlich fremd. An sein natürliches Teil gewöhnt sich der Mensch erst mit den Jahren und beruhigt sich langsam darüber. Gerade die Jugend, ich meine die höher geartete Jugend, erschrickt vielmehr davor, verachtet es, stellt sich feindselig dazu. Was heißt Natur? Wald und Wiese? Berge, Bäume und See, landschaftliche Schönheit? Dafür hat meiner Meinung nach die Jugend viel weniger Blick, als der ältere, beruhigte Mensch. Der junge ist zum Sehen und zum Naturgenuß gar nicht sehr aufgelegt. Er ist nach innen gerichtet, geistig gestimmt, dem Sinnlichen abgeneigt, meiner Meinung nach.«
    »Quod demonstramus«, sagte jemand, möglicherweise Dungersheim, »wir Wanderer hier im Stroh, die wir morgen den Thüringer Wald hinaufziehen wollen, nach Eisenach und zur Wartburg.«
    »›Meiner Meinung nach‹, sagst du immer«, warf ein anderer ein. »Du willst wohl sagen: ›meiner Erfahrung nach‹.«
    »Ihr werft mir vor«, versetzte Adrian, »ich spräche über die Jugend von oben herab und schlösse mich nicht ein. Nun auf einmal soll ich mich ihr substituiert haben.«
    »Leverkühn«, sagte Deutschlin darauf, »hat über die Jugend seine eigenen Gedanken, aber als eine spezifische Lebensform, die als solche respektiert werden muß, betrachtet er sie offenbar auch, und das ist das Entscheidende. Gegen die Selbsterörterung der Jugend sprach ich nur, insofern als sie die Unmittelbarkeit des Lebens zersetzt. Als Selbstbewußtsein verstärkt sie die Existenz aber auch, und in diesem Sinn, das heißt also in diesem Maß, heiße ich sie gut. Der Jugendgedanke ist ein Vorrecht und Vorzug unseres Volkes, des deutschen, – die andern kennen ihn kaum, Jugend als Selbstsinn ist ihnen so gut wie unbekannt, sie wundern sich über das wesensbetonte und von den höheren Altersklassen gebilligte Gebaren der deutschen Jugend und selbst über ihr unbürgerliches Kostüm. Mögen sie nur. Die deutsche Jugend repräsentiert, eben als Jugend, den {174} Volksgeist selbst, den deutschen Geist, der jung ist und zukunftsvoll, – unreif, wenn man will, aber was will das besagen! Die deutschen Taten geschahen immer aus einer gewissen gewaltigen Unreife, und nicht umsonst sind wir das Volk der Reformation. Die war ein Werk der Unreife doch auch. Reif war der florentinische Renaissance-Bürger, der vorm Kirchgang zu seiner Frau sagte: ›Also, machen wir dem populären Irrtum unsere Reverenz!‹ Aber Luther war unreif genug, Volk genug, deutsches Volk genug, den neuen, gereinigten Glauben zu bringen. Wo bliebe die Welt auch, wenn Reife das letzte Wort wäre! Wir werden ihr in unserer Unreife noch manche Erneuerung, manche Revolution bescheren.«
    Nach diesen Worten Deutschlins schwieg man eine Weile. Offenbar bewegte man im Dunkeln bei sich das Gefühl der persönlichen und nationalen Jugendlichkeit, die in
ein
Pathos verschmolzen. Das Wort von der »gewaltigen Unreife« hatte sicher viel Schmeichelhaftes für die meisten.
    »Wenn ich nur wüßte«, höre ich Adrian, die Pause beendend, sagen, »wieso wir eigentlich gar so unreif sind, so jung, wie du sagst, ich meine als Volk. Wir sind

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