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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Fausti« später sein Höchstes und Kühnstes leisten sollte, – dies alles tat sich sehr früh bei ihm in Wort und Haltung hervor.
    Seine Orchestrationsstudien unter Kretzschmars Leitung waren darum nicht weniger eifrig, denn er stimmte diesem darin zu, daß man Errungenes beherrschen müsse, auch wenn man es nicht mehr für wesentlich erachte, und sagte einmal zu mir: ein Komponist, der den Orchester-Impressionismus satt habe und darum nicht mehr instrumentieren lerne, komme ihm vor wie ein Zahnarzt, der keine Wurzelbehandlung mehr studiere und sich zum Reißbader rückbilde, weil neuestens entdeckt worden sei, daß man von toten Zähnen Gelenkrheu {221} matismus bekommen könne. Dieser sonderbar hergeholte und dabei für die geistige Zeitlage so charakteristische Vergleich blieb dann als oft benutztes kritisches Zitat zwischen uns bestehen, und der durch kunstreichste Wurzelbalsamierung erhaltene »tote Zahn« wurde zum Symbolwort für gewisse Späterzeugnisse orchestralen Paletten-Raffinements, – einschließlich seiner eigenen symphonischen Phantasie »Meerleuchten«, die er noch in Leipzig unter Kretzschmars Augen, nach einer zusammen mit Rüdiger Schildknapp unternommenen Ferienreise an die Nordsee schrieb, und deren halb öffentliche Aufführung Kretzschmar gelegentlich herbeiführte. Es ist ein Stück ausgesuchter Tonmalerei, das von einem erstaunlichen Sinn für berückende, dem Ohr beim ersten Hören fast unenträtselbare Klangmischungen Zeugnis gibt, und ein wohltrainiertes Publikum sah in dem jungen Verfasser einen hochbegabten Fortsetzer der Linie Debussy-Ravel. Er war es nicht und hat sein Leben lang diese Demonstration koloristisch-orchestralen Könnens fast so wenig zu seiner eigentlichen Produktion gerechnet wie die Handgelenklockerungen und Schönschreib-Übungen, deren er sich vorher unter Kretzschmars Aufsicht befleißigte: die sechs- bis achtstimmigen Chöre, die Fuge mit drei Themen für Streichquintett und Klavierbegleitung, die Symphonie, deren Particell er ihm stückweise brachte und deren Instrumentation er mit ihm beriet, die Cello-Sonate in a-moll mit dem sehr schönen langsamen Satz, dessen Thema er in einem seiner Brentano-Gesänge wieder aufnehmen sollte. Jenes klangfunkelnde »Meerleuchten« war ein in meinen Augen sehr merkwürdiges Beispiel dafür, wie ein Künstler sein Bestes an eine Sache zu setzen vermag, an die er insgeheim nicht mehr glaubt, und darauf besteht, in Kunstmitteln zu exzellieren, die für sein Bewußtsein schon auf dem Punkte der Verbrauchtheit schweben. »Es ist gelernte Wurzelbehandlung«, sagte er zu mir. »Für Streptokokken-Überschwemmung {222} komm ich nicht auf.« Daß er das Genre des »Tongemäldes«, der musikalischen »Naturstimmung«, für gründlich abgestorben erachtete, bewies jedes seiner Worte.
    Um aber alles zu sagen, so trug schon dies glaubenslose Meisterstück koloristischer Orchesterbrillanz heimlich die Züge der Parodie und der intellektuellen Ironisierung der Kunst überhaupt, die sich in Leverkühns späterem Werk so oft auf eine unheimlich-geniale Weise hervortat. Viele fanden das erkältend, ja zurückstoßend und empörend, und es waren noch die Besseren, wenn auch die Besten nicht, die so urteilten. Die ganz Oberflächlichen nannten es nur witzig und amüsant. In Wahrheit war hier das Parodische die stolze Auskunft vor der Sterilität, mit welcher Skepsis und geistige Schamhaftigkeit, der Sinn für die tödliche Ausdehnung des Bereichs des Banalen eine große Begabung bedrohten. Ich hoffe, das richtig zu sagen. Meine Unsicherheit und mein Verantwortungsgefühl sind gleich groß, indem ich Gedanken in Worte zu kleiden suche, die nicht primär meine eigenen sind, sondern die mir nur durch meine Freundschaft für Adrian eingeflößt wurden. Von Mangel an Naivität möchte ich nicht sprechen, denn zuletzt liegt Naivität dem Sein selbst, allem Sein, auch dem bewußtesten und kompliziertesten zum Grunde. Der fast unschlichtbare Konflikt zwischen der Hemmung und dem produktiven Antriebe mitgeborenen Genies, zwischen Keuschheit und Schöpfung, – das eben ist die Naivität, aus der ein solches Künstlertum lebt, der Boden für das schwierig-charakteristische Wachstum seines Werkes; und das unbewußte Trachten, der »Begabung«, dem hervorbringenden Impuls das notwendige knappe Übergewicht zu verschaffen über die Hemmungen des Spottes, des Hochmutes, der intellektuellen Scham, – dieses instinktive Trachten regt sich gewiß schon

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