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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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zurückblieb. Beim Bäcker wurde man schon unhöflich. Als Martine eines Tages mit einem Stück Suppenfleisch heimkam, weinte sie und sagte, der Fleischer gebe ihr die schlechtesten Stücke. Noch ein paar Tage, und man werde nichts mehr auf Kredit bekommen. Man müsse sich unbedingt etwas einfallen lassen, irgendwelche Geldmittel für die kleinen täglichen Ausgaben ausfindig machen.
    An einem Montag, als wieder eine Woche quälender Angst begann, war Clotilde den ganzen Vormittag über unruhig. Sie schien innerlich mit sich zu kämpfen, doch sie kam augenscheinlich erst nach dem Mittagessen zu einem Entschluß, als sie sah, daß Pascal seinen Anteil an einem Stückchen Rindfleisch zurückwies, das übriggeblieben war. Sehr ruhig, mit entschlossener Miene, ging sie dann mit Martine aus, nachdem sie ganz gelassen ein kleines Päckchen in deren Korb gelegt hatte – Lumpen, die sie weggeben wollte, wie sie sagte.
    Als sie zwei Stunden später zurückkam, war sie blaß. Aber ihre so reinen, so freimütigen großen Augen strahlten. Sogleich ging sie auf den Doktor zu, schaute ihm ins Gesicht und beichtete.
    »Ich muß dich um Verzeihung bitten, Meister, denn ich war ungehorsam gegen dich, und ich werde dir sicher großen Kummer bereiten.«
    Er begriff nicht und wurde unruhig.
    »Was hast du denn getan?«
    Langsam, ohne ihn aus den Augen zu lassen, zog sie einen Briefumschlag aus ihrer Tasche und entnahm ihm mehrere Banknoten. Pascal überkam eine jähe Ahnung, und er rief:
    »O mein Gott! Die Schmuckstücke, alle Geschenke!«
    Und obwohl sonst so gütig und so sanft, geriet er in schmerzlichen Zorn. Er packte ihre beiden Hände, mißhandelte sie beinahe und zerquetschte ihr fast die Finger, die die Banknoten hielten.
    »Mein Gott, was hast du getan, du Unglückselige! Mein ganzes Herz hast du verkauft! Unser ganzes Herz war in den Schmuckstücken enthalten, und du hast es für Geld dahingegeben! Schmuckstücke, die ich dir geschenkt, Erinnerungen an unsere himmlischsten Stunden, dir gehörten sie, dir allein, wie sollte ich sie jetzt zurücknehmen und für mich beanspruchen? Ist es denn möglich, hast du nicht an den furchtbaren Kummer gedacht, den du mir bereitest?«
    Sanft erwiderte sie:
    »Und du, Meister, glaubst du etwa, ich hätte uns in dieser traurigen Lage lassen können, da es uns schon am täglichen Brot fehlt, wo ich doch diese Ringe, diese Halsketten, diese Ohrgehänge hatte, die in einer Schublade schlummerten? Mein ganzes Ich empörte sich, ich wäre mir geizig und selbstsüchtig vorgekommen, wenn ich sie länger behalten hätte … Und wenn es mir auch weh tat, mich davon zu trennen, o ja, ich gestehe es, so weh, daß ich kaum mehr den Mut dazu fand, bin ich doch sicher, nur das getan zu haben, was ich tun mußte als Frau, die dir immer gehorsam ist und die dich leidenschaftlich liebt.«
    Tränen traten ihr in die Augen, weil er ihre Hände nicht losließ, und mit derselben sanften Stimme fügte sie mit schwachem Lächeln hinzu:
    »Drück nicht so fest, du tust mir weh.«
    Da weinte auch er, erschüttert und tief gerührt.
    »Ich bin ein Rohling, daß ich so böse werde … Du hast recht gehandelt, du konntest gar nicht anders handeln. Doch verzeih mir, es war so hart für mich, dich ausgeplündert zu sehen … Gib mir deine Hände, deine armen Hände, daß ich sie heile!«
    Behutsam nahm er wieder ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen, er fand sie unvergleichlich so ohne Ringe, so nackt und zart. Erleichtert und fröhlich erzählte sie ihm jetzt von ihrer Unternehmung: wie sie Martine ins Vertrauen gezogen hatte und wie sie beide zu der Zwischenhändlerin gegangen waren, die ihm das Mieder aus alter Alençonner Spitze verkauft hatte. Nach endlosem Prüfen und Feilschen schließlich hatte diese Frau sechstausend Francs für den ganzen Schmuck gegeben. Von neuem unterdrückte Pascal eine Gebärde der Verzweiflung: sechstausend Francs, wo ihn dieser Schmuck mehr als das Dreifache, wenigstens zwanzigtausend Francs, gekostet hatte!
    »Hör zu«, sagte er endlich, »ich nehme dieses Geld, das dein gutes Herz mir bringt. Aber selbstverständlich gehört es dir. Ich schwöre dir, geiziger damit umzugehen als Martine; ich werde ihr nur die wenigen, für unseren Lebensunterhalt unbedingt notwendigen Sous geben, und du wirst in dem Sekretär alles wiederfinden, was von der Summe übrigbleibt – natürlich kann ich sie nie wieder ergänzen und dir vollständig zurückgeben.«
    Er hatte sich hingesetzt und hielt

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