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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Reglosigkeit ihr nächtliches Leben der Geselligkeit und Spiele verbarg – noch dreimal durchquerten sie sie langsamen Schrittes an diesem klaren Abend eines glühendheißen Augusttages! Auf dem Cours Sauvaire standen ausgespannt einige alte Landkutschen und warteten darauf, in die Gebirgsdörfer zu fahren; im dunklen Schatten der Platanen vor den Türen der Cafés schauten die Gäste, die es hier schon ab sieben Uhr morgens gab, sie lächelnd an. Auch in der Neustadt, wo sich die Dienstboten auf den Türschwellen der Begüterten aufpflanzten, spürten sie weniger Sympathie als in den verlassenen Straßen des SaintMarcViertels, dessen alte Herrschaftshäuser freundliches Schweigen wahrten. Sie kehrten wieder in die Altstadt zurück und gingen bis zur Kathedrale SaintSaturnin, deren Apsis vom Garten des Domkapitels beschattet wurde – ein Winkel köstlichen Friedens, aus dem ein Armer sie verscheuchte, indem er sie um ein Almosen bat. In der Umgebung des Bahnhofs wurde viel gebaut, ein neuer Stadtteil war im Entstehen, und dorthin begaben sie sich. Dann gingen sie ein letztes Mal bis zum Place de la SousPréfecture zurück in der jäh erwachenden Hoffnung, am Ende doch noch jemand zu treffen, der ihnen Geld anbieten würde. Doch wieder begleitete sie nur das lächelnde Verzeihen der Stadt, als man sie so eng aneinandergeschmiegt und so schön dahinschreiten sah. Auf den kleinen spitzen Pflastersteinen, den Kieseln der Viorne, liefen sie sich die Füße wund. Und sie mußten schließlich beide mit leeren Händen zur Souleiade zurückkehren, der bettelnde alte König und seine demütige Untertanin Abisag in der Blüte ihrer Jugend, die den alternden David heimgeleitete, der seiner Güter beraubt und vom vergeblichen Herumlaufen auf den Straßen müde war.
    Es war acht Uhr. Martine, die sie erwartete, begriff, daß sie an diesem Abend nicht mehr zu kochen brauchte. Sie behauptete, schon gegessen zu haben; und da sie leidend aussah, schickte Pascal sie sofort zu Bett.
    »Wir behelfen uns allein«, bekräftigte Clotilde. »Da die Kartoffeln schon auf dem Feuer stehen, können wir sie uns selber nehmen.«
    Martine, die schlechter Laune war, gab nach. Sie murmelte undeutlich vor sich hin: Wenn alles aufgegessen ist, warum soll man sich dann noch zu Tisch setzen? Bevor sie sich in ihre Kammer einschloß, sagte sie noch:
    »Herr Doktor, für Bonhomme ist kein Hafer mehr da. Ich fand das Tier heute eigenartig, und der Herr Doktor sollten noch einmal nach ihm sehen.«
    Sogleich gingen Pascal und Clotilde, von Unruhe ergriffen, zum Pferdestall. Das alte Pferd lag in der Tat benommen auf seinem Strohlager. Seit sechs Monaten hatte man es wegen seiner rheumatischen Beine nicht mehr aus dem Stall geholt; außerdem war es völlig blind geworden. Niemand begriff, warum der Doktor dieses alte Tier am Leben ließ, und selbst Martine war schließlich zu der Meinung gelangt, man müsse es rein aus Mitleid töten. Aber Pascal und Clotilde protestierten, regten sich auf, als hätten sie einen alten Verwandten umbringen sollen, der sich nicht schnell genug davonmachte. Nein, nein! Bonhomme hatte ihnen länger als ein Vierteljahrhundert gedient, der brave Kerl würde bei ihnen eines natürlichen Todes sterben! Und an jenem Abend ließ es sich der Doktor nicht nehmen, ihn sorgfältig zu untersuchen. Er hob seine Hufe hoch, sah sich das Zahnfleisch an und horchte das Herz ab.
    »Nein, er hat nichts«, sagte er schließlich. »Es ist nur das Alter … Ach, mein armer Bonhomme, wir werden nicht mehr zusammen auf den Wegen dahintraben!«
    Der Gedanke, daß es ihm an Hafer fehlte, quälte Clotilde. Doch Pascal beruhigte sie: ein Tier in diesem Alter, das nicht mehr arbeitet, brauche nur sehr wenig! Da nahm sie eine Handvoll Heu von dem Haufen, den Martine dort liegengelassen hatte. Und es war eine Freude für die beiden, als Bonhomme aus lauter Freundschaft ihr dieses Heu bereitwillig aus der Hand fraß.
    »Du hast ja noch Appetit«, sagte Clotilde lachend. »Da mußt du doch nicht versuchen, auf unser Mitleid zu pochen … Gute Nacht! Und schlaf ruhig!«
    Und sie ließen ihn schlummern, nachdem sie ihm jeder wie gewöhnlich einen herzhaften Kuß rechts und links auf die Nüstern gedrückt hatten.
    Es wurde Nacht, und um nicht unten in dem leeren Haus bleiben zu müssen, kamen sie auf den Gedanken, alles fest zu verschließen und ihr Abendessen mit hinauf ins Zimmer zu nehmen. Rasch trug Clotilde die Schüssel mit den Kartoffeln, Salz und eine

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