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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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schöne Karaffe voll reinen Wassers hinauf, während Pascal sich mit einem Korb Trauben belud, den ersten, früh gereiften, die man von einem Weinspalier unterhalb der Terrasse gepflückt hatte. Sie schlossen sich ein und deckten einen kleinen Tisch, stellten die Kartoffeln in die Mitte zwischen Salzfaß und Karaffe und den Korb mit den Trauben auf einen Stuhl daneben. Und es war ein wunderbares Festessen, das sie an das köstliche Frühstück am Morgen nach der Hochzeitsnacht erinnerte, als Martine sich hartnäckig geweigert hatte, ihnen zu antworten. Sie empfanden das gleiche Entzücken, allein zu sein, sich selber zu bedienen und eng aneinandergeschmiegt von demselben Teller zu essen.
    Dieser Abend bitterer Not, der sie um alles in der Welt hatten entrinnen wollen, hielt die köstlichsten Stunden ihres Lebens für sie bereit. Seit sie zurückgekehrt waren und sich in dem vertrauten großen Zimmer befanden, als wären sie hundert Meilen von dieser gleichgültigen Stadt entfernt, die sie abgelaufen waren, schwanden Traurigkeit und Furcht, schwand sogar die Erinnerung an diesen schlimmen Nachmittag, den sie mit vergeblichen Laufereien vertan hatten. Alles, was nicht ihre Liebe war, kümmerte sie nicht mehr; sie wußten nicht mehr, ob sie arm waren, ob sie am nächsten Tag einen Freund suchen müßten, um am Abend etwas zu essen zu haben. Wozu die Not fürchten und sich soviel Sorge machen, wenn es genügte, beieinander zu sein, um alles nur erdenkliche Glück zu genießen?
    Pascal jedoch erschrak.
    »Mein Gott! Wir hatten so große Angst vor diesem Abend! Ist es denn wohl vernünftig, so glücklich zu sein? Wer weiß, was uns der morgige Tag bringen wird!«
    Doch sie legte ihm ihre kleine Hand auf den Mund.
    »Nein, nein! Morgen werden wir uns genauso lieben, wie wir uns heute lieben … Liebe mich mit all deiner Kraft, so wie ich dich liebe.«
    Und noch nie hatten sie so aus Herzenslust gegessen. Sie bewies den Appetit eines schönen Mädchens mit gesundem Magen; lachend sprach sie den Kartoffeln kräftig zu und behauptete, sie schmeckten wunderbar, besser als die gepriesensten Gerichte. Auch er aß wieder mit dem Appetit eines Dreißigjährigen. In vollen Zügen tranken sie das klare Wasser und fanden es himmlisch. Als Nachtisch entzückte sie dann der Wein, diese frischen Trauben, dieses Blut der Erde, das die Sonne vergoldet hatte. Sie aßen zuviel, sie waren berauscht von Wasser und Früchten und vor allem von Fröhlichkeit. Sie erinnerten sich nicht, jemals ein solches Festessen gehabt zu haben. Selbst ihr erstes Mittagsmahl mit dem ganzen Luxus von Koteletts, Brot und Wein hatte nicht diese Trunkenheit bewirkt, dieses Glück zu leben, da die Freude des Zusammenseins genügte, das Steingut in goldenes Tafelgeschirr, die armselige Speise in himmlische Kost zu verwandeln, wie seihst die Götter sie nicht genießen.
    Es war vollkommen dunkel geworden, und sie hatten keine Lampe angezündet, froh darüber, daß sie gleich zu Bett gehen konnten. Doch die Fenster blieben weit geöffnet auf den unermeßlichen Sommerhimmel hinaus, der Abendwind drang herein, brennend heiß noch und einen fernen Lavendelduft mit sich tragend. Am Horizont war der Mond aufgegangen, so voll und so groß, daß das ganze Zimmer in silbernes Licht getaucht war und sie sich wie in einer unendlich strahlenden, süßen und traumhaften Helle sahen.
    Da vollendete sie mit nackten Armen, nacktem Hals, nacktem Busen aufs herrlichste das Festmahl, das sie ihm gab, und machte ihm das königliche Geschenk ihres Körpers. In der vorhergehenden Nacht hatte sie zum erstenmal ein Schauer der Angst befallen, ein unwillkürliches Entsetzen beim Nahen des drohenden Unglücks. Und jetzt schien die ganze übrige Welt wieder einmal vergessen; in ihrer Blindheit gegenüber allem, was nicht ihre Leidenschaft war, gewährte ihnen die gütige Natur eine Nacht höchster Glückseligkeit.
    Clotilde hatte die Arme ausgebreitet, sie gab sich hin und schenkte sich ganz.
    »Meister, Meister! Ich habe für dich arbeiten wollen, und ich habe erfahren müssen, daß ich zu nichts nütze bin, unfähig, einen Bissen Brot für dich zu verdienen. Ich vermag nichts, als dich zu lieben, mich hinzugeben, einen Augenblick lang deine Lust zu sein … Und es genügt mir, deine Lust zu sein, Meister! Wenn du wüßtest, wie froh ich bin, daß du mich schön findest, denn diese Schönheit kann ich dir zum Geschenk machen. Ich habe nur sie, und ich bin so glücklich, daß ich dich

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