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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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seiner Liebe und seiner Vernunft zerrissen zu werden, bis zu jenem schrecklichen Abend, an dem er sich ergeben würde, ausgeblutet und leergeweint. In seiner augenblicklichen Feigheit erschauerte er schon bei dem Gedanken, daß er eines Tages den Mut dazu haben würde. Und es war wirklich das Ende, das Unwiderrufliche begann, ihn erfaßte Angst um Clotildes willen, die so jung war, und er hatte nur noch die Pflicht, sie vor sich selbst zu retten.
    Verfolgt von den Worten, von den Sätzen dieses Briefes, versuchte er sich unter Qualen einzureden, daß Clotilde ihn nicht liebe, daß sie nur Mitleid und Dankbarkeit für ihn empfinde. Die Überzeugung, daß sie sich opferte und daß er, wenn er sie noch länger bei sich behielt, nur seinen ungeheuerlichen Egoismus befriedigte, würde ihm, so glaubte er, die Trennung erleichtern. Aber mochte er sie auch noch so sehr beobachten, sie allen Prüfungen unterwerfen, er fand sie in seinen Armen stets unverändert zärtlich und leidenschaftlich. Er war bestürzt über dieses Ergebnis, das sich gegen die gefürchtete Lösung richtete und ihm Clotilde nur immer liebenswerter machte. Und er gab sich alle Mühe, sich selber die Notwendigkeit ihrer Trennung zu beweisen, er prüfte die Gründe dafür. Das Leben, das sie seit Monaten führten, dieses Leben ohne Bindungen und Pflichten, ohne jegliche Arbeit, dieses Leben war schlecht. Was ihn betraf, so glaubte er, zu nichts anderem mehr gut zu sein, als sich in einem Winkel unter der Erde schlafen zu legen; aber war es für sie nicht ein unbefriedigendes Dasein, das sie gleichgültig gegenüber der Umwelt und für das wirkliche Leben untauglich machte, unfähig zu jeglicher Willensanstrengung? Er verdarb sie, er erhob sie zum Bild einer Göttin mitten im Hohngeschrei des Skandals. Dann sah er sich plötzlich tot, er ließ sie mittellos, verachtet und allein auf der Straße zurück. Niemand nahm sie auf, sie irrte auf den Straßen umher und würde nie mehr einen Mann oder Kinder haben. Nein, nein! Das wäre ein Verbrechen, er durfte ihr für die wenigen Tage des Glücks, die ihm noch blieben, nicht dieses Erbe der Schande und des Elends vermachen.
    Eines Morgens, als Clotilde allein ausgegangen war, um in der Nachbarschaft eine Besorgung zu machen, kehrte sie ganz verstört, bleich und zitternd wieder zurück. Und sowie sie oben in ihrem Zimmer war, sank sie halb ohnmächtig in Pascals Arme. Sie stammelte zusammenhanglose Worte.
    »O mein Gott! … O mein Gott! … Diese Frauen …«
    Erschreckt bestürmte er sie mit Fragen.
    »So sag doch schon! Antworte mir! Was ist dir geschehen?«
    Da ließ eine Blutwelle ihr Gesicht tief erröten. Sie umschlang ihn und verbarg ihr Antlitz an seiner Schulter.
    »Ach, diese Frauen … Als ich aus der Sonne in den Schatten trat und meinen Sonnenschirm zumachte, brachte ich unglücklicherweise ein Kind zu Fall … Und sie waren alle gegen mich, sie haben mich beschimpft, oh, was sie mir alles nachgeschrien haben! Ich würde niemals Kinder haben, Kreaturen meiner Art brächten niemals Kinder zur Welt. Und noch andere Dinge, mein Gott, noch ganz andere Dinge, die ich nicht wiederholen kann, die ich gar nicht verstanden habe!«
    Sie schluchzte. Pascal war totenbleich geworden; er wußte ihr nichts zu sagen, er küßte sie verzweifelt und weinte ebenfalls. Er hatte die Szene vor Augen, er sah Clotilde verfolgt, von Schimpfworten beschmutzt. Und er stammelte:
    »Es ist meine Schuld, durch mich mußt du leiden … Hör zu, wir werden fortgehen, weit, sehr weit fort, irgendwohin, wo man uns nicht kennt, wo man dich grüßen wird und wo du glücklich bist.«
    Aber Clotilde hatte sich, als sie ihn weinen sah, tapfer wieder aufgerichtet und drängte ihre Tränen zurück.
    »Ach, wie konnte ich mich so gehenlassen. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, dir nichts zu sagen! Doch als ich nach Hause kam, empfand ich so heftigen Schmerz, daß ich mir alles vom Herzen reden mußte … Du siehst, es ist vorbei, sei nicht mehr traurig … Ich liebe dich …«
    Sie lächelte, sie hatte ihn sanft in die Arme genommen und küßte ihn, um ihn seine Verzweiflung und seinen Schmerz vergessen zu machen.
    »Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr, daß ich alles andere ertragen kann! Es gibt für mich nur dich auf der Welt, das andere zählt nicht! Du bist so gut, du machst mich so glücklich!«
    Aber er weinte noch immer, und auch sie begann wieder zu weinen, und lange herrschte eine grenzenlose Traurigkeit, ein Klagen, in das

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