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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Hände überginge. Vor allem aber sprach sie von Pflicht, von dem Beistand, den man einem Verwandten schuldig sei, wobei auch sie behauptete, es habe ein förmliches Versprechen gegeben.
    »Sieh mal, mein Kind, ruf doch dein Gedächtnis zu Hilfe. Du hast ihm gesagt, du würdest zu ihm gehen, wenn er dich jemals brauchen sollte. Ich höre dich noch … Nicht wahr, mein Sohn?«
    Pascal schwieg, seit seine Mutter da war, ließ sie handeln und saß bleich und mit gesenktem Kopf da. Er antwortete nur mit einem leichten bestätigenden Nicken.
    Dann wiederholte Félicité alle Gründe, die er selber Clotilde genannt hatte: der abscheuliche Skandal, der schon zum Schimpf wurde; das drohende Elend, das für sie beide so schwer sein würde; die Unmöglichkeit, dieses schlimme Leben fortzusetzen, bei dem er in seinem Alter den Rest seiner Gesundheit einbüßen und sie, die noch so jung war, sich für ihr ganzes Leben kompromittieren würde. Was für eine Zukunft konnten sie erhoffen, jetzt, da die Armut eingekehrt war? Es sei dumm und grausam, sich so zu versteifen.
    Hoch aufgerichtet, mit verschlossenem Gesicht, schwieg Clotilde beharrlich, jede Erörterung ablehnend. Aber als ihre Großmutter sie bedrängte, ihr immer mehr zusetzte, sagte sie schließlich:
    »Ich wiederhole es noch einmal, ich habe keine Pflicht gegenüber meinem Bruder, meine Pflicht ist hier. Er kann über sein Vermögen verfügen, ich will nichts davon haben. Wenn wir zu arm sind, wird der Meister Martine fortschicken und mich als Magd behalten.«
    Sie schloß mit einer Gebärde. O ja, sich ihrem Fürsten weihen, ihm ihr Leben hingeben, lieber ihn an der Hand führen und auf den Straßen betteln gehen! Und ihm dann bei der Heimkehr wie an jenem Abend, da sie von Tür zu Tür gegangen waren, ihre Jugend zum Geschenk machen und ihn in ihren reinen Armen erwärmen!
    Die alte Frau Rougon schüttelte den Kopf.
    »Bevor du seine Magd wirst, hättest du besser daran getan, erst einmal seine Frau zu werden Warum habt ihr nicht geheiratet? Das wäre einfacher und anständiger gewesen.«
    Sie erinnerte daran, daß sie eines Tages gekommen war und diese Heirat gefordert hatte, um den entstehenden Skandal im Keim zu ersticken; das junge Mädchen sei überrascht gewesen und habe gesagt, weder sie noch der Doktor hätten daran gedacht, aber wenn es sein müßte, würden sie eben heiraten, doch später, denn es habe ja keine Eile.
    »Ich würde schon gerne heiraten!« rief Clotilde. »Du hast recht, Großmutter …«
    Und sie wandte sich an Pascal.
    »Hundertmal hast du mir wiederholt, daß du tun würdest, was ich will … Heirate mich, hörst du. Ich werde deine Frau sein und hier bleiben. Eine Frau verläßt ihren Mann nicht …«
    Doch er antwortete nur mit einer Gebärde, als fürchtete er, seine Stimme könnte ihn verraten und er könnte mit einem Aufschrei der Dankbarkeit dieses ewige Band annehmen, das sie ihm vorschlug. Seine Gebärde konnte ein Zögern, eine Ablehnung bedeuten. Wozu diese Heirat in extremis, da alles zusammenbrach?
    »Gewiß«, begann Félicité wieder, »das sind schöne Gefühle. Du legst dir das in deinem kleinen Kopf sehr hübsch zurecht. Aber die Heirat wird euch keine Jahreszinsen einbringen, und unterdessen kostest du ihn eine ganze Menge und bist für ihn die schwerste Belastung.«
    Die Wirkung dieses Satzes auf Clotilde war außerordentlich; sie ging mit hochroten Wangen und tränennassen Augen ungestüm auf Pascal zu.
    »Meister, Meister! Ist das wahr, was Großmutter sagt? Tut es dir wirklich um das Geld leid, das du für mich ausgeben mußt?«
    Er war noch bleicher geworden, er rührte sich nicht und verharrte in seiner Niedergeschlagenheit. Doch mit einer Stimme, die wie von ferne zu kommen schien, murmelte er, als spräche er zu sich selbst:
    »Ich habe soviel Arbeit! Ich würde mir so gern meine Akten, meine Manuskripte, meine Notizen noch einmal vornehmen und das Werk meines Lebens vollenden … Wenn ich allein wäre, vielleicht könnte ich dann alles so einrichten. Ich würde die Souleiade verkaufen, oh! für ein Butterbrot, denn viel ist sie nicht wert. Ich würde mich mit all meinen Papieren in ein kleines Zimmer zurückziehen. Ich würde von morgens bis abends arbeiten und versuchen, nicht allzu unglücklich zu sein.«
    Er vermied es, Clotilde anzusehen; doch in ihrer Erregung konnte ihr dieses schmerzliche Gestammel nicht genügen. Von Sekunde zu Sekunde wurde ihr Entsetzen größer, denn sie fühlte deutlich, daß das

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