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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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betäubten sie gleichsam den heftigen Schmerz, der ihnen fast das Herz abdrückte. Für Augenblicke versuchten sie sich abzulenken. Pascal sah sehr umsichtig darauf, daß kein Platz verlorenging, nutzte die Hutschachtel für Putzsächelchen aus, packte Kästchen zwischen die Hemden und Taschentücher, während Clotilde die Kleider aus dem Schrank nahm und auf dem Bett zusammenfaltete, um sie als letztes in den obersten Koffereinsatz zu legen. Als sie sich dann ein wenig müde wieder aufrichteten und sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, lächelten sie zunächst und mußten dann an sich halten, um nicht plötzlich in Tränen auszubrechen beim Gedanken an das unvermeidliche Unglück, das sie wieder ganz überwältigte. Doch sie blieben fest, wenn auch ihr Herz blutete. Mein Gott, es war also wahr, daß sie schon nicht mehr zusammen waren? Und sie hörten nun den Wind, den furchtbaren Wind, der das Haus auseinanderzureißen drohte.
    Wie viele Male gingen sie an diesem letzten Tag ans Fenster, angezogen von dem Sturm, mit dem Wunsch, er möge die ganze Welt davontragen! Solange der Mistral weht, hört die Sonne nicht auf zu scheinen, bleibt der Himmel immerfort blau, doch es ist ein fahlblauer, staubgetrübter Himmel, und ein Schauer läßt die gelbe Sonne erbleichen. Sie betrachteten in der Ferne die ungeheuren weißen Staubwolken, die von den Landstraßen aufwirbelten, die zerzausten, niedergebogenen Bäume, die alle aussahen, als ob sie im selben Galopp in dieselbe Richtung flohen, die ganze ausgedörrte Flur, die erschöpft war von der Gewalt dieses immer gleichbleibenden Wehens, das unaufhörlich mit seinem Donnergrollen darüber hinfuhr. Äste brachen, verschwanden, Dächer wurden abgehoben und so weit fortgetragen, daß man sie nicht mehr wiederfand. Warum packte der Mistral sie nicht beide zugleich und schleuderte sie weit fort, in das unbekannte Land, in dem man glücklich ist? Die Koffer waren fast fertig gepackt, als Pascal einen Fensterladen, den der Wind zugeschlagen hatte, wieder öffnen wollte, doch durch das halb geöffnete Fenster drang der Sturm so heftig herein, daß Clotilde ihm zu Hilfe eilen mußte. Sie stemmten sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen und konnten endlich den Drehriegel schließen. Im Zimmer waren die letzten Bänder und Tüchlein herumgewirbelt, ein kleiner Handspiegel war von einem Stuhl gefallen, und sie hoben die Scherben vom Boden auf. War dies etwa ein Zeichen nahenden Todes, wie die Frauen aus der Vorstadt behaupteten?
    Am Abend nach einem trübseligen Abendessen im hellen Eßzimmer mit den großen blühenden Sträußen schlug Pascal vor, sich zeitig zur Ruhe zu begehen. Clotilde mußte am nächsten Morgen mit dem Zug um Viertel elf abreisen, und er war um ihretwillen besorgt wegen der langen Fahrt, zwanzig Stunden mit der Eisenbahn. In dem Augenblick dann, da sie zu Bett gehen wollten, umarmte er Clotilde und bestand hartnäckig darauf, schon in dieser Nacht allein zu schlafen und wieder in sein Zimmer zurückzukehren. Er wollte unbedingt, daß sie sich ausruhte. Wenn sie zusammen blieben, könnte keiner von beiden ein Auge zutun, und es wäre eine schlaflose, unendlich traurige Nacht. Vergebens flehte sie ihn mit ihren großen zärtlichen Augen an und streckte ihm ihre göttlichen Arme entgegen: er besaß die außerordentliche Kraft, fortzugehen, sie wie ein Kind auf die Augen zu küssen, während er sie in ihre Decken hüllte und ihr zuredete, recht vernünftig zu sein und gut zu schlafen. War denn die Trennung nicht schon vollzogen? Es hätte ihn mit Gewissensbissen und Scham erfüllt, wenn er sie noch einmal besessen hätte, jetzt, da sie ihm nicht mehr gehörte. Aber wie entsetzlich war die Rückkehr in das feuchte, verlassene Zimmer, wo ihn sein kaltes Junggesellenlager erwartete. Ihm war, als kehrte er in sein Greisenalter zurück, das sich gleich einem Bleideckel für immer über ihm schloß. Zuerst gab er dem Sturm die Schuld an seiner Schlaflosigkeit. Das ausgestorbene Haus war von Geheul erfüllt, klagende und zornige Stimmen mischten sich mit ständigem Schluchzen. Zweimal stand er wieder auf, ging und horchte bei Clotilde, vernahm jedoch nichts. Dann ging er hinunter, um eine Tür zu schließen, die mit dumpfen Schlägen auf und zuklappte, als pochte das Unglück an die Mauern. Es wehte durch die dunklen Räume, er legte sich, erstarrt und vor Kälte zitternd, wieder zu Bett, von schaurigen Visionen verfolgt. Dann wurde ihm bewußt, daß diese

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