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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gewaltige Stimme, unter der er litt und die ihm den Schlaf raubte, nicht von dem entfesselten Mistral kam. Es war der Ruf Clotildes, das Empfinden, daß sie noch da war und daß er sich ihrer beraubt hatte. Da wälzte er sich in einem Anfall äußersten Verlangens und abscheulicher Verzweiflung. Mein Gott, sie niemals mehr für sich zu haben, da doch ein Wort genügte, daß sie ihm gehörte und für immer bei ihm blieb! Es war, als risse man ihm sein eigen Fleisch aus dem Leibe, indem man ihm dieses junge Fleisch fortnahm. Mit dreißig Jahren findet man wieder eine Frau. Aber wie schwer war es in der Leidenschaft seiner verlöschenden Manneskraft, diesem so herrlich nach Jugend duftenden frischen Körper zu entsagen, der sich auf königliche Weise hingegeben hatte, der ihm gehörte als sein Gut und Eigentum! Zehnmal war er nahe daran, aus dem Bett zu springen, zu ihr zu gehen, sie wieder zu nehmen und für immer zu behalten. Die fürchterliche Krise dauerte bis zum Morgengrauen, während der Wind wütend gegen das alte Haus anstürmte und es in seinen Grundfesten erzittern ließ.
    Um sechs Uhr ging Martine hinauf in dem Glauben, ihr Herr habe, um sie zu rufen, auf den Fußboden geklopft. Sie betrat das Zimmer mit dem lebhaften und schwärmerischen Ausdruck, den sie seit zwei Tagen angenommen hatte; doch vor Besorgnis und Schreck blieb sie unbeweglich stehen, als sie Pascal halb angekleidet und verwüstet quer über dem Bett liegen sah, das Gesicht ins Kopfkissen vergraben, um sein Schluchzen zu ersticken. Er hatte aufstehen und sich anziehen wollen, doch von Schwindel befallen, von Herzklopfen schier erstickt, war er in einem neuen Anfall zusammengebrochen.
    Kaum war er aus einer kurzen Ohnmacht erwacht, begann er wieder in seiner Qual zu stammeln:
    »Nein, nein! Ich kann nicht, ich leide zu sehr … Lieber will ich sterben, auf der Stelle sterben …«
    Doch er erkannte Martine, und nun verlor er jede Haltung, er beichtete vor ihr, am Ende seiner Kraft, in seinen Schmerz versunken und ganz davon beherrscht.
    »Meine arme Gute, ich leide zu sehr, mir bricht das Herz … Sie nimmt mein Herz mit fort, mein ganzes Sein. Ich kann nicht mehr leben ohne sie … Ich wäre heute nacht fast gestorben, ich möchte vor ihrer Abreise sterben, um nicht den grausamen Schmerz zu erleben, sie von mir scheiden zu sehen … Mein Gott! Sie geht fort, und ich werde sie nicht mehr haben, ich bleibe allein, allein, allein …«
    Das Dienstmädchen, eben noch so fröhlich, als sie heraufkam, wurde wachsbleich; ihr Gesicht war hart und schmerzerfüllt. Einen Augenblick sah sie ihm zu, wie er mit seinen verkrampften Händen in den Bettüchern wühlte, wie er in seiner Verzweiflung röchelte und den Mund auf die Bettdecke preßte. Dann schien sie mit einer jähen Anstrengung einen Entschluß zu fassen.
    »Aber Herr Doktor, es hat doch keinen Sinn, sich solchen Kummer zu machen. Das ist ja lächerlich … Da es nun einmal so ist und Sie nicht ohne das Fräulein leben können, werde ich ihr sagen, in welchem Zustand Sie sich befinden …«
    Bei diesen Worten richtete er sich ungestüm wieder auf; schwankend noch, hielt er sich an einer Stuhllehne fest.
    »Das verbiete ich Euch, Martine!«
    »Und ich soll wohl noch auf Sie hören! Damit ich Sie halbtot wiederfinde, wie Sie sich die Augen aus dem Kopf weinen … Nein, nein, ich gehe das Fräulein holen, und ich werde ihr die Wahrheit sagen und sie schon dazu bringen, daß sie bei uns bleibt!«
    Aber er hatte zornerfüllt ihren Arm gepackt und ließ sie nicht mehr los.
    »Ich befehle Euch, still zu sein, versteht Ihr? Oder Ihr geht mit Clotilde zusammen fort … Warum seid Ihr hereingekommen? Ich war krank von diesem Wind. Das geht niemand etwas an.«
    Dann aber wurde er weich gestimmt, seine gewohnte Güte gewann die Oberhand, schließlich lächelte er.
    »Meine arme Gute, jetzt bin ich auch noch auf Euch böse! Laßt mich doch handeln, wie ich es muß zu unser aller Glück. Und kein Wort davon – Ihr würdet mir großen Kummer machen.«
    Martine kämpfte nun auch mit den Tränen. Es war Zeit, daß das Einvernehmen wiederhergestellt wurde, denn Clotilde trat fast im gleichen Augenblick ins Zimmer; sie war frühzeitig aufgestanden, um Pascal möglichst bald wiederzusehen, da sie zweifellos bis zur letzten Minute hoffte, er würde sie zurückhalten. Ihr selber waren die Lider schwer von Schlaflosigkeit, sie schaute ihn sogleich mit fragendem Ausdruck fest an. Aber er war noch so aufgelöst, daß

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