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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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denn fort, da ich kein Mann mehr bin!«
    Vergebens bemühte sie sich, ihn zu beruhigen.
    »Nein! Ich weiß sehr wohl, was du denkst, wir haben es zwanzigmal gesagt: Wenn nicht das Kind ihr einen Sinn gibt, ist die Liebe nur eine sinnlose Zote … Den Roman, den du gerade lasest, hast du neulich abend fortgeworfen, weil die Helden höchst erstaunt waren, daß sie ein Kind gezeugt hatten, ja nicht einmal daran gedacht hatten, daß sie eins zeugen könnten, und nun nicht wußten, wie sie es wieder loswerden sollten … Ach, wie habe ich mich danach gesehnt, wie hätte ich es geliebt, ein Kind von dir!«
    An jenem Tage schien Pascal sich noch tiefer in seine Arbeit zu vergraben. Er arbeitete jetzt oft vier und fünf Stunden hintereinander, ganze Vormittage und Nachmittage, an denen er nicht aufblickte. Er übertrieb seinen Eifer und untersagte, daß man ihn störte oder auch nur das Wort an ihn richtete. Zuweilen, wenn Clotilde auf Zehenspitzen hinausging, weil sie unten eine Anordnung zu treffen oder eine Besorgung zu machen hatte, vergewisserte er sich mit einem verstohlenen Blick, daß sie nicht mehr da war; dann ließ er mit dem Ausdruck unendlicher Verzagtheit den Kopf auf den Tisch sinken. Das war ein schmerzliches Entspannen von der außerordentlichen Anstrengung, die er sich, wenn er Clotilde in seiner Nähe fühlte, auferlegen mußte, um am Tisch sitzen zu bleiben und sie nicht in die Arme zu nehmen, sie nicht stundenlang unter zärtlichen Küssen an sein Herz zu drücken. Ach, die Arbeit! Wie glühend rief er sie um Hilfe an als die einzige Zuflucht, durch die er sich zu betäuben hoffte! Doch meistens vermochte er nicht zu arbeiten, er mußte Komödie spielen und so tun, als arbeitete er angestrengt, die Augen auf das Blatt geheftet, seine traurigen Augen, die von Tränen umflort waren, während sein verwirrter, flüchtiger, stets von demselben Bild erfüllter Geist Todesqualen litt. Sollte er denn erleben, wie die Arbeit Bankrott machte, er, der sie für das Höchste, für den einzigen Schöpfer und Regulator der Welt hielt? Mußte er das Werkzeug fortwerfen, dem Handeln entsagen, nur noch leben und die schönen Mädchen lieben, die vorübergingen? Oder war nur sein Alter schuld daran, daß er unfähig war, eine Seite zu schreiben, wie er ja auch unfähig war, ein Kind zu zeugen? Die Angst vor der Impotenz hatte ihn immer gequält. Während er so, mit einer Wange auf dem Tisch liegend, kraftlos dasaß, von seinem Elend überwältigt, träumte er, er wäre erst dreißig Jahre alt und schöpfte jede Nacht in Clotildes Armen die Kraft für die Arbeit des nächsten Tages. Und Tränen rannen in seinen weißen Bart; und wenn er Clotilde heraufkommen hörte, richtete er sich rasch wieder auf und nahm seine Feder zur Hand, damit sie ihn so wiederfand, wie sie ihn verlassen hatte, in tiefes Nachdenken versunken, wo es doch nur Verzweiflung und Leere gab.
    Es war Mitte September, zwei endlose Wochen waren in diesem Unbehagen dahingegangen, ohne daß sich eine Lösung ergeben hätte, da sah Clotilde eines Morgens zu ihrer großen Überraschung ihre Großmutter Félicité das Haus betreten. Am Abend zuvor war Pascal ihr in der Rue de la Banne begegnet, und in dem ungeduldigen Verlangen, das Opfer zu vollziehen, ohne jedoch in sich selbst die Kraft zur Trennung zu finden, hatte er sich ihr trotz seines inneren Widerwillens anvertraut und sie gebeten, am nächsten Tag zu kommen. Gerade hatte sie wieder einen ganz verzweifelten und flehenden Brief von Maxime erhalten.
    Zunächst erklärte sie, weshalb sie kam.
    »Ja, ich bin es, mein Kind, und wie du dir denken kannst, haben mich schwerwiegende Gründe veranlaßt, euer Haus wieder zu betreten … Aber wahrhaftig, du verlierst den Verstand, ich kann es nicht zulassen, daß du dein Leben auf solche Weise verpfuschst, ohne daß ich dich ein letztes Mal zu retten versuche.«
    Und sie las sogleich mit tränenerstickter Stimme Maximes Brief vor. Der junge Mann war an einen Lehnstuhl gefesselt, er schien von einer rasch fortschreitenden, sehr schmerzhaften Ataxie befallen. Deshalb forderte er eine endgültige Antwort von seiner Schwester, hoffte immer noch, daß sie kommen werde, und zitterte bei dem Gedanken, eine andere Krankenwärterin suchen zu müssen. Er sähe sich jedoch dazu gezwungen, wenn man ihn in seiner traurigen Lage im Stich ließe. Und als Félicité den Brief zu Ende gelesen hatte, gab sie zu verstehen, wie ärgerlich es wäre, wenn Maximes Vermögen in fremde

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