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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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könnte. Nun sagen Sie selbst, ob ich recht habe zu behaupten, daß die Schwindsucht nicht erblich ist, sondern daß die schwindsüchtigen Eltern nur einen verdorbenen Boden vererben, in welchem die Krankheit sich bei der geringsten Ansteckung entwickelt. Heute ist Valentin, der in täglicher Berührung mit dem Vater lebte, schwindsüchtig, während Sophie, die in Luft und Sonne aufwuchs, kerngesund ist.«
    Er triumphierte und fügte lachend hinzu:
    »Trotzdem werde ich Valentin vielleicht retten, denn er lebt zusehends wieder auf, er setzt Fett an, seit ich ihm Spritzen gebe … Ach, Ramond, Sie werden auch noch dahin kommen, Sie werden sich auch noch zu meinen Injektionen bekehren!«
    Der junge Arzt drückte ihnen beiden die Hand.
    »Aber ich sage ja nicht nein. Sie wissen sehr gut, daß ich immer zu Ihnen stehe.«
    Als sie allein waren, beschleunigten sie den Schritt und bogen sogleich in die Rue Canquoin ein, eine der engsten und finstersten Straßen der Altstadt. Bei dieser glühenden Sonne herrschten dort fahles Licht und Kellerkühle. Dort wohnte im Erdgeschoß Guiraude zusammen mit ihrem Sohn Valentin. Sie öffnete die Tür, eine magere, abgearbeitete Frau, die selber krank war, von einer langsamen Zersetzung des Blutes befallen. Von morgens bis abends schlug sie mit dem Kopf eines Hammelknochens Mandeln auf, auf einem großen Pflasterstein, den sie zwischen die Knie geklemmt hielt; und diese einzige Arbeit ernährte sie, da der Sohn jegliche Tätigkeit hatte aufgeben müssen. Guiraude lächelte jedoch an diesem Tage, als sie den Doktor erblickte, denn Valentin hatte soeben mit großem Appetit ein Kotelett gegessen, eine wahre Schlemmerei, die er sich seit Monaten nicht erlaubt hatte. Der schwächliche junge Mann mit spärlichem Haar und Bart, mit vorspringenden, rotgefleckten Backenknochen in einem wachsbleichen Gesicht hatte sich ebenfalls rasch erhoben, um zu zeigen, daß er frisch und munter sei. Clotilde war gerührt über den Empfang, der Pascal bereitet wurde, als wäre er der Retter, der erwartete Messias. Die armen Leute drückten ihm die Hände, hätten ihm am liebsten die Füße geküßt, sahen ihn mit vor Dankbarkeit leuchtenden Augen an. Er vermochte also alles, er war also der liebe Gott, daß er die Toten zu neuem Leben erweckte! Er selber lachte aufmunternd angesichts dieser Kur, die sich so gut anließ. Zweifellos war der Kranke nicht geheilt, vielleicht war das nur ein Aufpeitschen, denn er fand ihn vor allem aufgeregt und fiebrig. Aber war es denn nichts, wenn man einige Tage gewann? Er gab ihm wieder eine Spritze, während Clotilde, die am Fenster stand, ihnen den Rücken zuwandte; und als sie fortgingen, sah sie, daß er zwanzig Francs auf dem Tisch zurückließ. Das kam häufig bei ihm vor, daß er seine Kranken bezahlte, statt von ihnen bezahlt zu werden.
    Sie machten drei weitere Besuche in der Altstadt, gingen dann zu einer Dame in der Neustadt; und als sie wieder auf der Straße waren, sagte Pascal:
    »Weißt du was, wenn du ein tapferes Mädchen bist, gehen wir, bevor wir bei Lafouasse vorbeischauen, bis nach La Séguiranne und besuchen Sophie bei ihrer Tante. Das würde mir Freude machen.«
    Es waren kaum drei Kilometer, ein bezaubernder Spaziergang bei diesem wunderbaren Wetter. Und sie stimmte fröhlich zu, schmollte nicht mehr, sondern schmiegte sich an ihn und war glücklich, daß sie an seinem Arm ging. Es war fünf Uhr, die schräg fallenden Sonnenstrahlen breiteten ein großes goldenes Tuch über das Land. Aber sowie die beiden aus Plassans herauskamen, mußten sie ein Stück der ausgedörrten, nackten weiten Ebene zur Rechten der Viorne durchschreiten. Der kürzlich angelegte Kanal, der das verdurstende Land verwandeln sollte, bewässerte diesen Teil noch nicht; und die rötlichen Äcker, die gelblichen Felder erstreckten sich endlos weit in der alles vernichtenden Sonnenglut, nur mit unablässig beschnittenen und gestutzten, schmächtigen Mandelbäumen und verkrüppelten Ölbäumen bepflanzt, deren Äste sich in einer Haltung des Leidens oder Aufbegehrens wanden und krümmten. Auf den kahlen Hängen in der Ferne sah man nur die blassen Flecke der ländlichen Hütten mit dem schwarzen Strich der unvermeidlichen Zypresse davor. Indessen bewahrte die ungeheure baumlose Weite des in breiten Wellen sich hinziehenden trostlosen Geländes mit seinen harten und scharfen Färbungen schöne klassische Linien von strenger Erhabenheit. Und auf der Landstraße lag wohl an die zwanzig
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