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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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bei Herrn Grandguillot hatte anlegen wollen, in dem Wunsch, ihr Geld für sich zu haben. Es war anderswo in sicheren Wertpapieren angelegt.
    »Die schlafenden Sous sind ehrbare Sous«, sagte sie ernst. »Aber der Herr Doktor hat recht, ich werde dem Fleischer sagen, er soll eine Extrarechnung schicken, da ja doch alle diese Gehirne für die Küche vom Herrn Doktor bestimmt sind und nicht für meine.«
    Über diese Erklärung mußte Clotilde lächeln, die sich immer amüsierte, wenn sich jemand über Martines Geiz lustig machte; und so ging das Mittagessen fröhlicher zu Ende. Der Doktor wollte den Kaffee unter den Platanen einnehmen, da er, wie er sagte, frische Luft brauchte, nachdem er sich den ganzen Vormittag eingeschlossen hatte. Der Kaffee wurde also auf dem Steintisch neben dem Brunnen serviert. Und wie angenehm war es hier im Schatten, in der singenden Frische des Wassers, während ringsumher der Pinienhain, die Tenne, das ganze Besitztum in der Mittagssonne brannte!
    Pascal hatte selbstgefällig die Phiole mit der Nervensubstanz mitgebracht und betrachtete sie nun, nachdem er sie auf den Tisch gestellt hatte.
    »So, mein Fräulein«, begann er wieder in mürrisch scherzhaftem Ton, »Sie glauben nicht an mein Auferstehungselixier, und doch glauben Sie an Wunder!«
    »Meister«, erwiderte Clotilde, »ich glaube, daß wir nicht alles wissen.«
    Er machte eine ungeduldige Bewegung.
    »Aber einmal wird man alles wissen müssen … Begreife doch, du kleiner Starrkopf, daß man wissenschaftlich niemals eine einzige Abweichung von den unveränderlichen Gesetzen festgestellt hat, die das Universum regieren. Bis zum heutigen Tage hat allein der menschliche Verstand versucht, Einfluß zu nehmen, und ich wette, daß du keinen wirklichen Willen, keine Absicht irgendwelcher Art außerhalb des Lebens findest … Und darin ist alles begründet, es gibt auf der Welt keinen anderen Willen als jene Kraft, die alles zum Leben treibt, zu einem mehr und mehr entwickelten, höheren Leben.«
    Mit weit ausholender Gebärde war er aufgestanden, und ein solcher Glaube beseelte ihn, daß das junge Mädchen ihn anschaute, überrascht, ihn unter seinem weißen Haar so jung zu finden.
    »Soll ich dir mein Glaubensbekenntnis sagen, da du mich beschuldigst, nichts von dem deinen wissen zu wollen? Ich glaube, daß die Zukunft der Menschheit auf dem Fortschritt der Vernunft durch die Wissenschaft beruht. Ich glaube, daß die Suche nach der Wahrheit mit Hilfe der Wissenschaft das göttliche Ideal ist, das sich der Mensch vornehmen soll. Ich glaube, daß außerhalb des Schatzes der langsam erworbenen und unverlierbaren Wahrheiten alles Illusion und Eitelkeit ist. Ich glaube, daß die Summe dieser ständig vermehrten Wahrheiten dem Menschen eines Tages eine noch nicht abzuschätzende Macht geben wird und die Heiterkeit der Seele, wenn nicht das Glück … Ja, ich glaube an den schließlichen Triumph des Lebens.«
    Und mit noch weiter ausholender Gebärde umfaßte er den unendlichen Horizont, als wollte er das in Flammen stehende Land, in dem die Säfte aller Lebewesen brodelten, zum Zeugen nehmen.
    »Doch das fortwährende Wunder, mein Kind, das ist das Leben … Mach doch die Augen auf, schau hin!«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich mache sie auf, und ich sehe nicht alles … Du, Meister, bist ein Starrkopf, wenn du nicht zugeben willst, daß sich dahinter ein Unbekanntes verbirgt, in das du niemals eindringen wirst. Oh, ich weiß, du bist zu klug, um das nicht zu wissen. Nur willst du es nicht wahrhaben, du weist das Unbekannte von dir, weil es dir bei deinen Forschungen im Wege wäre … Du magst mir noch so oft sagen, ich solle das Mysterium beiseite lassen, vom Bekannten ausgehen zur Eroberung des Unbekannten – ich kann es nicht! Das Mysterium packt mich sofort und beunruhigt mich.«
    Er hörte ihr lächelnd zu, glücklich, daß sie sich so ereiferte, und er streichelte mit der Hand ihre blonden Locken.
    »Ja, ja, ich weiß, du bist wie die anderen, du kannst nicht ohne Illusion und ohne Lüge leben … Nun, laß nur gut sein, wir werden uns trotzdem verstehen. Bleib schön gesund, das ist schon die halbe Weisheit und das halbe Glück.«
    Dann wechselte er das Thema.
    »Aber du wirst mich wenigstens auf meinem Gang begleiten und mir bei meinen Wundern helfen … Heute ist Donnerstag, mein Besuchstag. Wenn die Hitze etwas nachgelassen hat, gehen wir zusammen los.«
    Sie lehnte zunächst ab, damit es nicht so schien, als gäbe sie nach,
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