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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20
Autoren: Émile Zola
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Zentimeter hoher Staub, ein schneeiger Staub, den der geringste Hauch in breiten fliegenden Schwaden emporwehte und der die Feigenbäume und das Brombeergebüsch zu beiden Seiten der Straße weiß überpuderte.
    Clotilde, die sich wie ein Kind darüber freute, all diesen Staub unter ihren kleinen Füßen knirschen zu hören, wollte Pascal mit unter ihren Sonnenschirm nehmen.
    »Die Sonne scheint dir in die Augen. Halte dich doch links.«
    Doch er bemächtigte sich schließlich des Schirms, um ihn selber zu tragen.
    »Du hältst ihn nicht richtig, und außerdem ermüdet dich das … Wir sind auch gleich da.«
    In der versengten Ebene erblickte man bereits ein Inselchen aus Laubwerk, eine ganze riesige Baumgruppe. Das war La Séguiranne, das Besitztum, auf dem Sophie bei ihrer Tante Dieudonne, der Frau des Weißgerbers, aufgewachsen war. An der geringsten Quelle, am kleinsten Bächlein strotzte diese Flammenerde von mächtigem Pflanzen wuchs, und dichte Schatten breiteten sich aus, unergründliche Alleen von köstlicher Frische. Platanen, Kastanienbäume, Ulmen schossen in die Höhe. Pascal und Clotilde bogen in einen breiten Weg mit wunderbaren grünen Eichen ein.
    Als sie sich dem Pachthof näherten, warf eine Heuerin auf einer Wiese ihre Heugabel fort und kam herbeigelaufen. Es war Sophie, die den Doktor und das Fräulein, wie sie Clotilde nannte, erkannt hatte. Sie vergötterte die beiden, blieb dann aber ganz verwirrt stehen und schaute sie an, ohne all die lieben Worte sagen zu können, von denen ihr Herz überströmte. Sie glich ihrem Bruder Valentin, sie hatte seine kleine Gestalt, seine vorspringenden Backenknochen, sein mattblondes Haar; doch es schien, als habe sie auf dem Lande, fern von der Ansteckung der väterlichen Umgebung, Fleisch angesetzt, sie stand fest auf ihren kräftigen Beinen, hatte volle Wangen und üppiges Haar. Und sie hatte sehr schöne Augen, die vor Gesundheit und Dankbarkeit leuchteten. Tante Dieudonné, die ebenfalls Heu wendete, kam nun auch herbei und rief schon von weitem, auf etwas derbe provençalische Weise scherzend:
    »Ach, Herr Pascal, wir brauchen Sie hier nicht! Bei uns ist niemand krank!«
    Der Doktor, der nur gekommen war, sich an diesem schönen Anblick der Gesundheit zu erfreuen, erwiderte in demselben Ton:
    »Das hoffe ich sehr. Indessen gibt es hier ein kleines Mädchen, das uns großen Dank schuldet, Ihnen und mir!«
    »Ja, das ist die reine Wahrheit! Und sie weiß es auch, Herr Pascal, sie sagt alle Tage, ohne Sie ginge es ihr jetzt wie ihrem armen Bruder Valentin.«
    »Ach was! Wir werden ihn auch retten. Es geht ihm besser, dem Valentin. Ich komme gerade von ihm.«
    Sophie ergriff die Hände des Doktors, dicke Tränen traten ihr in die Augen. Sie konnte nur stammeln:
    »Oh, Herr Pascal!«
    Wie man ihn liebte! Und Clotilde fühlte, wie ihre Liebe zu ihm um die ihm allerorts entgegengebrachte Zuneigung größer wurde. Sie verweilten einen Augenblick und plauderten im wohltuenden Schatten der grünen Eichen. Dann kehrten sie zurück nach Plassans, da sie noch einen Krankenbesuch zu machen hatten.
    Ihr Weg führte sie jetzt in eine am Kreuzungspunkt zweier Landstraßen gelegene elende Kneipe, weiß vom aufgewirbelten Staub. Gegenüber hatte man eine Dampfmühle errichtet, in den alten Gebäuden des Paradou, eines aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Besitztums. Und Lafouasse, der Kneipenwirt, verdankte seine Einnahmen den Mühlenarbeitern und den Bauern, die ihr Getreide brachten. Sonntags waren außerdem die wenigen Einwohner von Les Artaud, einem benachbarten Weiler, seine Kunden. Aber er war vom Unglück geschlagen, er schleppte sich seit drei Jahren dahin und klagte über Schmerzen, in denen der Doktor schließlich eine beginnende Ataxie24 erkannt hatte; dennoch bestand er eigensinnig darauf, keine Magd zu nehmen, er hielt sich an den Möbeln fest und bediente trotzdem seine Kunden. Und als er nach etwa zehn Spritzen wieder auf die Beine gebracht war, posaunte er schon überall aus, daß er geheilt sei.
    Er stand gerade in der Tür, groß und kräftig, mit flammendem Gesicht unter seinem brennendroten Haar.
    »Ich habe Sie erwartet, Herr Pascal. Denken Sie nur, ich habe gestern zwei Stückfaß Wein in Flaschen abfüllen können, und das, ohne müde zu werden!«
    Clotilde blieb draußen auf einer steinernen Bank sitzen, während Pascal in die Schankstube hineinging, um Lafouasse eine Spritze zu geben. Man hörte ihre Stimmen, und Lafouasse, der trotz seiner derben
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