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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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verbindliche Antwort hören. Zweimal schon hatte ihn die Anwesenheit Dritter davon abgehalten zu sprechen. Da er die Antwort nur von ihr selber zu erhalten wünschte, hatte er beschlossen, sich freimütig und offen zu erklären. Ihre Freundschaft zueinander, ihre Vernünftigkeit und Aufrichtigkeit berechtigten ihn zu diesem Schritt. Lächelnd und Clotilde in die Augen blickend, schloß er mit den Worten:
    »Ich versichere Ihnen, Clotilde, es ist die vernünftigste Lösung … Sie wissen, ich liebe Sie schon lange. Ich empfinde für Sie eine tiefe Zuneigung und Hochachtung … Doch das allein würde vielleicht nicht genügen – es kommt hinzu, daß wir uns ausgezeichnet verstehen und sehr glücklich miteinander sein werden, dessen bin ich gewiß.«
    Sie hatte den Blick nicht gesenkt, auch sie schaute ihn mit einem freundschaftlichen Lächeln freimütig an. Er war wirklich sehr schön in all seiner jugendlichen Kraft.
    »Warum«, fragte sie, »heiraten Sie nicht Mademoiselle Lévêque, die Tochter des Anwalts? Sie ist hübscher und reicher als ich, und ich weiß, sie wäre so glücklich … Lieber Freund, ich fürchte, Sie machen eine Dummheit, wenn Sie sich für mich entscheiden.«
    Er wurde nicht ungeduldig und schien immer noch von der Richtigkeit seines Entschlusses überzeugt zu sein.
    »Aber ich liebe nicht Mademoiselle Lévêque, ich liebe Sie … Im übrigen habe ich mir alles reiflich überlegt. Ich wiederhole Ihnen, daß ich sehr wohl weiß, was ich tue. Sagen Sie ja, auch Sie können keinen besseren Entschluß fassen.«
    Da wurde sie ernst, und ein Schatten glitt über ihr Gesicht, der Schatten jener Überlegungen, jener fast unbewußten inneren Kämpfe, die sie seit vielen Tagen schweigen ließen.
    »Nun denn, mein Freund, da es nun ganz ernst ist, erlauben Sie mir, daß ich Ihnen nicht heute antworte, gewähren Sie mir noch einige Wochen … Der Meister ist wirklich sehr krank, ich selber bin ganz durcheinander; und Sie möchten mich doch sicher nicht einer unüberlegten Handlung zu verdanken haben … Auch ich versichere Ihnen, daß ich große Zuneigung für Sie empfinde. Doch es wäre nicht recht, wenn ich mich in diesem Augenblick entschiede, das Haus ist allzu unglücklich … Abgemacht, nicht wahr? Ich werde Sie nicht lange warten lassen.«
    Und um das Thema zu wechseln, fügte sie hinzu:
    »Ja, der Meister macht mir Sorge. Ich wollte schon zu Ihnen kommen, es Ihnen sagen … Neulich habe ich ihn überrascht, wie er heiße Tränen weinte, und ich bin sicher, daß ihn die Angst verfolgt, er würde wahnsinnig … Vorgestern, als Sie mit ihm sprachen, sah ich, daß Sie ihn beobachteten. Ganz offen, was halten Sie von seinem Zustand? Ist er in Gefahr?«
    Doktor Ramond wehrte ab.
    »Aber nein! Er hat sich überanstrengt, er hat sich kaputt gemacht, das ist alles! Wie kann ein Mann seines Ranges, der sich soviel mit Nervenkrankheiten beschäftigt hat, sich so täuschen? Es ist wirklich betrüblich, wenn die klarsten und fähigsten Köpfe derartig versagen! In seinem Fall wäre seine Erfindung der subkutanen Injektionen das richtige Mittel. Warum macht er sich keine Einspritzung?«
    Und als das junge Mädchen mit einer verzweifelten Geste sagte, daß er nicht mehr auf sie höre, daß sie nicht einmal mehr das Wort an ihn richten könne, fügte er hinzu:
    »Nun gut, dann werde ich mit ihm reden.«
    In diesem Augenblick trat Pascal aus seinem Zimmer, vom Klang der Stimmen angelockt. Doch als er die beiden so nahe beieinander erblickte, wie sie so angeregt, so jung und so schön in der Sonne standen, von Sonne gleichsam eingehüllt, blieb er auf der Schwelle stehen. Seine Augen weiteten sich, und sein bleiches Gesicht verzerrte sich.
    Ramond hatte Clotildes Hand ergriffen, da er sie noch einen Augenblick zurückhalten wollte.
    »Ich habe Ihr Versprechen, nicht wahr? Ich möchte, daß die Hochzeit in diesem Sommer stattfindet … Sie wissen, wie sehr ich Sie liebe, und ich erwarte Ihre Antwort.«
    »Gewiß«, erwiderte sie. »Vor Ablauf eines Monats wird alles geregelt sein.«
    Ein Schwindelgefühl ließ Pascal wanken. Da schlich sich jetzt dieser Bursche, ein Freund, ein Schüler, in sein Haus, um ihm sein Gut zu stehlen! Er hätte auf diese Entwicklung gefaßt sein müssen, aber die plötzliche Neuigkeit von einer möglichen Heirat überraschte ihn, überwältigte ihn wie eine unvorhergesehene Katastrophe, die sein Leben vollends zerstörte. Dieses Geschöpf, das er geschaffen, das er sein eigen glaubte,

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