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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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tauben Gärtner, der noch älter war als er – versinnbildlichte er nicht die größtmögliche Summe des Glücks auf Erden? Keine Belastung, keine Pflicht, keine andere Sorge als die um seine teure Gesundheit! Das war ein Weiser, der würde hundert Jahre alt werden.
    »Ach, die Angst vor dem Leben! Wahrhaftig, es gibt keine bessere Feigheit … Und dabei bedaure ich manchmal noch, kein eigenes Kind zu haben! Hat man überhaupt das Recht, elende Geschöpfe in die Welt zu setzen? Man muß die schlechte Vererbung töten, das Leben töten … Der einzige rechtschaffene Mensch, siehst du, ist dieser alte Feigling!«
    Unterdessen setzte Herr Bellombre in der Märzsonne friedlich seinen Rundgang unter den Birnbäumen fort. Er wagte keine allzu lebhafte Bewegung; der rüstige Greis ging haushälterisch mit seinen Kräften um. Als er einen Stein auf dem Wege liegen sah, stieß er ihn mit der Spitze seines Spazierstocks beiseite und ging dann ohne Eile weiter.
    »Sieh ihn doch an! Hat er sich nicht gut gehalten, ist er nicht schön, vereinigt er nicht alle Segnungen des Himmels in seiner Person? Ich kenne keinen glücklicheren Menschen.«
    Clotilde schwieg; sie litt unter dieser Ironie Pascals, denn sie ahnte, wie schmerzlich sie ihm war. Sie, die für gewöhnlich Herrn Bellombre in Schutz nahm, fühlte in sich Widerspruch aufsteigen. Tränen traten ihr in die Augen, und sie entgegnete nur mit leiser Stimme:
    »Ja, aber er wird nicht geliebt.«
    Das machte der peinlichen Szene sogleich ein Ende. Als hätte er einen Stoß erhalten, wandte Pascal sich um und schaute sie an. Eine plötzliche Rührung ließ auch seine Augen feucht werden, und er entfernte sich, um nicht zu weinen.
    Noch mancher Tag verging in diesem Wechsel von guten und schlechten Stunden. Pascals Kräfte kehrten nur sehr langsam zurück, und es brachte ihn zur Verzweiflung, daß er sich nicht wieder an die Arbeit begeben konnte, ohne von heftigen Schweißausbrüchen heimgesucht zu werden. Hätte er weitergemacht, so wäre er ganz gewiß ohnmächtig geworden. Solange er nicht arbeiten konnte, das fühlte er sehr wohl, würde die Genesung sich hinauszögern. Indessen interessierte er sich von neuem für seine gewohnten Untersuchungen, überlas die letzten Seiten, die er geschrieben hatte, und als der Wissenschaftler in ihm wieder erwachte, stellten sich auch seine früheren Befürchtungen wieder ein. Einen Augenblick war er so niedergeschlagen, daß das ganze Haus gleichsam für ihn versunken war: man hätte ihn ausplündern, ihm alles nehmen, alles zerstören können, er wäre sich des Unheils nicht einmal bewußt geworden. Jetzt legte er sich wieder auf die Lauer, befühlte seine Tasche, um sich zu vergewissern, daß der Schlüssel zum Schrank darinnen war.
    Doch eines Morgens, als er länger im Bett blieb und erst gegen elf Uhr aus seinem Zimmer kam, sah er Clotilde in dem großen Arbeitszimmer in aller Ruhe damit beschäftigt, ein sehr genaues Pastell von einem blühenden Mandelzweig zu malen. Sie schaute lächelnd auf; dann nahm sie einen Schlüssel, der neben ihr auf dem Pult lag, und wollte ihn Pascal geben.
    »Da, Meister!«
    Erstaunt, noch ohne zu begreifen, betrachtete er den Gegenstand, den sie ihm hinhielt.
    »Was denn?«
    »Das ist der Schlüssel zum Schrank – du hast ihn gestern wohl aus deiner Tasche verloren, und ich habe ihn heute morgen hier gefunden.«
    Da nahm ihn Pascal in tiefer Bewegung an sich. Er sah den Schlüssel an und sah Clotilde an. Es war also zu Ende? Sie würde ihn nicht mehr verfolgen, nicht mehr voller Wut alles stehlen, alles verbrennen wollen? Und da er sah, daß auch sie sehr bewegt war, empfand er eine ungeheure Freude in seinem Herzen.
    Er nahm Clotilde in seine Arme und küßte sie.
    »Ach, mein Kind, wenn wir doch glücklich sein könnten!«
    Dann zog er ein Schubfach seines Tisches auf und warf wie früher den Schlüssel hinein.
    Von da an kam er wieder zu Kräften; die Genesung schritt rascher voran. Rückfälle waren jedoch noch immer möglich, denn er blieb recht angegriffen. Aber er konnte schreiben, die Tage schleppten sich nicht mehr so dahin. Die Sonne hatte ebenfalls an Kraft gewonnen, im großen Arbeitszimmer war es schon so warm, daß man zuweilen die Läden zur Hälfte schließen mußte. Pascal weigerte sich, Besuch zu empfangen, duldete kaum Martine um sich, ließ seiner Mutter sagen, er schliefe, wenn sie hin und wieder kam, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Und er war nur in dieser köstlichen

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