Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
gehabt. Kurz, das war durchaus kein wünschenswerter Start in den Tag. Damit nicht genug, es war der schlimmste Tag in der französischen Militärgeschichte, der Tag, an dem die Franzosen von den verflixten Engländern und den mindestens ebenso verflixten Deutschen verdroschen werden sollten.
    Bulles Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und er sah, dass das donnernde Schnarchen von einem mitten im Zelt stehenden Bett herkam. Neben dem Bett stand ein Stuhl, über dessen Rückenlehne säuberlich eine blaue Uniform hing. Bulle fröstelte es. Die Uniform war ihm natürlich viel zu groß, aber wenigstens war sie trocken. Er stieg möglichst leise aus der Badewanne und schlich zum Stuhl, zerrte sich seine nasse Kleidung vom Leib und zog die Uniform an. Und – was war das? – sie passte ihm! Bulle sah zu dem Mann hinüber, der mit weit geöffnetem Mund in seinem Bett schnarchte. Sollte das wirklich der große General und Diktator Napoleon Bonaparte sein? Der Mann war ja genauso ein Winzling wie Bulle! Aber keine Zeit jetzt, um darüber nachzudenken. Bulle knöpfte eilig all die vielen blanken Uniformknöpfe zu, legte sich den Gürtel mit dem Säbel um, der bis knapp überm Boden reichte, und griff nach dem seltsamen Hut mit drei Ecken, der auf der Sitzfläche des Stuhls lag. Wo war an so einem Dingens eigentlich vorn und wo hinten? Aber auch hier keine Zeit jetzt, darüber nachzudenken, gleich würde die Raspa die Spuren in der Zeitseife lesen und hinterherkommen. Bulle setzte den Hut auf und nahm die Tüte mit dem Pupsonautenpulver aus seiner nassen Hose. Und schrak zusammen, als hinter ihm jemand nieste. Aber es war nicht die Raspa. Der Nieser kam von vor dem Zelt.
    »Prosit«, hörte er eine Stimme dort draußen sagen.
    Bulle atmete erleichtert auf, öffnete die Tüte mit dem Pupsonautenpulver, hielt sie über den weit geöffneten Mund des schnarchenden Generals und ließ das Pulver rieseln. Doch in diesem Moment atmete der kleine Mann mit einem langen, zischenden Geräusch aus und pustete Bulle das Pulver ins Gesicht. Bulle hatte Wasser in den Augen und Pulver in der Nase, und bevor er sich besann, nieste auch er. Als er die Augen wieder aufschlug, sah er, dass der General jetzt nasse Pupsonautenpulverflecken im ganzen Gesicht hatte. Bulle hielt den Atem an.
    »Gleichfalls prosit«, sagte draußen eine andere Stimme.
    Dann wurde wieder alles von Napoleons rasselndem Einwärtsschnarchen übertönt und rasch nutzte Bulle die Gelegenheit, um ihm Pulver in den Rachen zu schütten. Jäh stockte das Schnarchen und Bulle stockte der Herzschlag. Ein paar Sekunden lang hörte man nichts als einen Grashüpfer, der draußen zirpte. Dann setzte das Schnarchen des Generals wieder ein und Bulles Herz desgleichen.
    Jetzt fehlte nur noch der Countdown. Bulle verzog sich ganz nach hinten im Zelt, schloss die Augen, presste die Hände auf die Ohren und zählte innerlich stumm.
    Sechs – fünf – vier – drei – zwei – eins...
    KRAAAWUUUMMM!!!

    Vorm Zelt standen zwei Mitglieder der Leibwache des Generators Napoleon. Sie dämmerten so im Halbschlaf vor sich hin, sie waren beide halb taub nach all dem Kanonendonner, den sie in einem langen Soldatenleben hatten anhören müssen. Aber bei diesem Kracher schraken beide auf.
    »Olala, was war das?«, fragte die eine Wache, nahm das Gewehr von der Schulter und blies nervös ihren Schnurrbart hoch.
    »Isch ’abe gedacht, du ’ast geniest?«, sagte die andere, nahm das Gewehr von der Schulter und pustete nervös in seinen Schnauzbart.
    »Schau mal«, sagte der Schnurrbart und wies gen Himmel.
    Und dort flog vor dem großen gelben Mond etwas vorbei, das auf der anderen Seite der Landstraße nach Brüs- sel verschwand, zu der Seite hin, wo sich die Lager der Engländer befanden.
    »Was war das?«, fragte der Schnurrbart.
    »Wenn es nischt völlisch unmöschlisch wäre, würde isch sagen, es war ein lebendigör Mensch im Nacht’emd«, sagte der Schnauzbart. »Aber wir ’aben ja erst 1815, da kann der Mensch noch gar nischt fliegön.«
    »Stimmt. Abör wir müssen nachse’en, ob mit dem Generator alles in Ordnung ist.«
    Sie schlugen die Zeltbahn am Eingang zurück und gingen hinein. Als Erstes sahen sie, dass der Mond durch ein Loch im Zeltdach hereinschien und weiche, leichte Bettdaunen im Mondenschein segelten.
    »Was in aller . . .«, setzte der Schnurrbart an, hob das lange Gewehr mit dem fast ebenso langen Bajonett, eilte ans Bett und schrie: »Der Generator ist nischt

Weitere Kostenlose Bücher