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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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»Ist hier jemand?« Das war Lises Stimme.
    »Ich bin hier«, ertönte eine heisere, wüstentrockene Stimme.
    »Das weiß ich«, sagte Lise. »Wir sind ja in derselben Badewanne gereist. Ich frage mich nur, ob...«
    »Wir sind alle vier da«, sagte Bulle. »Aber wo sind wir? Man sieht überhaupt nichts.«
    »Wir sind genau dort, wo wir hinwollten«, sagte Doktor Proktor. »In Jeanne d’Arcs Kerkerloch.«
    So langsam gewöhnten Bulles Augen sich an die Dunkelheit. Hoch oben an der Wand konnte er ein kleines vergittertes Fenster ausmachen. Und im Raum die Umrisse von drei holterdipolter durcheinanderliegenden Badewannen.
    »Juliette muss hier gewesen sein«, sagte Bulle. »Ich kann ihre Badewanne sehen.«
    »Wir sind eingesperrt und hier drin ist keine Juliette«, sagte Lise. »Also, was tun wir? Pssst! Habt ihr das gehört?«
    Bulle lauschte mit angehaltenem Atem. Alles, was er hörte, war ein leises Knattern von draußen, wie von fernem Feuerwerk. Doch Moment! Jetzt hörte er, was Lise meinte. Ein leises Stöhnen. Es kam von...von unter Juliettes Badewanne!
    »Helft mir, die Wanne beiseitezuräumen!«, rief er.
    Sofort waren Raspa und Doktor Proktor zur Stelle. Sie kippten die Wanne an und der Inhalt ergoss sich über den schwarzen, hart gestampften Sandboden. Und dort, unter der Bandewanne, lag eine Frau auf dem Bauch! Offenbar war draußen soeben der Mond hinter einer Wolke hervorgetreten, denn ein blasser Lichtschein erleuchtete flackernd das Kerkerloch sowie das rotbraune Haar und das weiße Kleid der Frau.
    »Juliette, du . . .!«, setzte Lise freudestrahlend an. Aber sie hielt jäh inne, als die Frau den Kopf hob und sie aus erschrockenen, aber leuchtend blauen Augen ansah. Denn sie mochte Juliette zwar ähneln, ihr Kleid und ihre Haare waren von derselben Farbe wie Juliettes, aber das hier war keinesfalls sie. Sondern eine junge Frau, ja, offenbar ein Teenager.
    »Wer bist du?«, fragte Doktor Proktor.
    »Ich bin Jeanne«, sagte das Mädchen mit bebender Stimme.
    »Jeanne d’Arc?«, rief Lise verblüfft. Das Mädchen hatte schönes, langes Haar, genau wie auf dem Bild im Geschichtsbuch, sah aber viel jünger aus.
    Die andere nickte.
    Bulle stand da wie versteinert und hielt die Badewanne immer noch angekippt. Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Dieses Mädchen war der schönste Mensch, den er jemals gesehen hatte; viel schöner noch als die Frauen, die ihn nach dem Radrennen auf die Wangen geküsst hatten, schöner als Juliette auf dem Foto, wo sie und Doktor Proktor noch jung waren, ja, schöner sogar als die Cancan-Tänzerinnen im Moulin Rouge.
    »Wo ist Juliette?«, fragte Doktor Proktor.
    Das Mädchen blinzelte sie verständnislos an.
    »Sie ist mit der ersten Badewanne hier angekommen!«, sagte der Professor.
    »Ich weiß nicht«, sagte Jeanne und krümmte sich zusammen, als fürchtete sie, geschlagen zu werden.
    Endlich ließ Bulle die Wanne los, die mit dumpfem Dröhnen umkippte, und hockte sich neben das Mädchen.
    »Wir wissen, du hast viel durchgemacht, Jeanne«, sagte er feierlich mit einer etwas gekünstelt tiefen Stimme. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Aber du brauchst vor uns keine Angst zu haben. Wir sind nur hier, um Juliette zu retten. Sie ist der Schatz von unserem Professor hier. Verstehst du?«
    Das Mädchen nickte Bulle zu und der strahlte zur Antwort übers ganze Gesicht: »Ich habe bislang keinen Schatz. Und du?«
    Lise räusperte sich und schob Bulle beiseite: »Kannst du uns erzählen, was passiert ist, Jeanne?«
    Das Mädchen blickte zwischen Lise und Bulle hin und her.
    »Ich habe geschlafen und gewartet, dass sie mich holen kommen«, sagte sie. »Ich soll heute als Hexe verbrannt werden.«
    »Ich weiß«, sagt Bulle eifrig. »Weil du geholfen hast, bei Orléans die Engländer zu schlagen.«
    »Ja«, sagte das Mädchen, »und weil ich höre, wie Gott zu mir spricht. Und weil ich mir keine Pottfrisur schneiden lassen will.«
    »Eine Pottfrisur?«
    »Ja, alle müssen sich eine Pottfrisur schneiden lassen. Um zu zeigen, dass wir uns Gott unterwerfen, nicht wahr? Ihr habt auch keine Pottfrisur, darum haben sie euch hier reingesteckt.«
    »Nein«, sagte Lise. »Was Bulle sagt, stimmt, wir kommen aus der Zukunft und sind mit diesen Badewannen gereist, um Juliette zur retten.«
    Jeanne starrte sie lange an. »Ihr Ärmsten. Ich werde verbrannt, weil ich behaupte, ein paar zusammenhanglose Sätze von Gott gehört zu haben. Und jetzt stellt euch mal vor, was sie mit euch tun,

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