Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
mit jemandem …«
»Bei ihrem Tagesablauf? Nein, nie.«
»Tagesablauf? Gab es denn noch etwas, außer ihrer Arbeit?«
»Also ich darf schon bitten! Ich habe ihr doch nicht nachspioniert!«
»Das fehlte ja noch …«
»Ich habe gehört, wenn sie die Tür zumachte, weil sie fast jeden Abend ausging. Aber ich habe sie nur gesehen, wenn sie mal bei mir anklopfte und um Salz bat oder um ein Glas Milch. Sie war großzügig, hat mir dann gleich ein ganzes Päckchen Salz erstattet oder eine volle Tüte Milch …«
»Ein schönes Mädchen mit dunkler Haut und dazu noch großzügig. Aber eine schöne Frau bleibt kaum allein, immer allein …«
»Warum nicht? Schauen Sie doch mich an!«
»Sie haben recht. Aber …«
»Natürlich habe ich recht! Also, ich weiß nicht, ob das der Sache dient, aber von meinem Fenster aus kann ich nach unten schauen, auf die Piazza. Eines Abends habe ich die Signorina gesehen, wie sie den Arm um einen Mann geschlungen hatte. Ich habe ihn nur von hinten gesehen, er war größer als sie …«
»Von welcher Hautfarbe?«
»Welche Hautfarbe? In der Dunkelheit …!«
»Einer von uns?«
»Ein Weißer, ja. Sonst noch was, sior polisioto ?«
»Geräusche, Streitereien, Schreie …?«
»Nichts.«
»Alles klar, Signora. Dann also vielen Dank.«
Stucky rief Landrulli an.
»Ist Mario De Pol groß oder klein?«
»Groß, Signor Inspektor.«
»Landrulli, wenn ich dich schon mal an der Strippe habe: Überprüf doch bitte, seit wann Signora Pitzalis in Treviso lebt und wer ihr Vermieter ist.«
Dann ging er bei Signora Veneziani vorbei, um sich zu erkundigen, ob sie die Liste ihrer Kunden bereits zusammengestellt hatte. Da das Geschäft noch beschlagnahmt war, musste er sich zu ihrer Privatadresse bemühen, zu einem an einem Kanal gelegenen Haus; ihre Wohnung lag im zweiten Stock.
Die Frau trat sehr förmlich auf. Sie erwartete ihn an der Tür, die sie nur einen Spalt geöffnet hatte, und überreichte ihm ein akribisch eingeteiltes und mit Schönschrift beschriebenes Blatt. Man sah, dass es ihr schlecht ging und dass sie unruhig war; die verzogenen Lippen hatten Mühe beim Sprechen.
»Sie haben so viele Kunden männlichen Geschlechts?«
»Wir verfügen über ein gewisses Prestige.«
Stucky überflog die Liste, die prominente Namen enthielt: Kommunalpolitiker, Steuerberater, Notare, und er erspähte auch Signor Sartor, den vielfach diplomierten Inhaber des Optikerladens, und den Namen dieses Bankdirektors, der so berühmt war wie ein Orchesterdirigent.
»Sie sind immer noch aufgewühlt?«
»Es ist eine schlimme Geschichte! Ich hätte niemals geglaubt …«
»Denken Sie nicht daran, Signora, denken Sie nicht daran. Wissen Sie, ob Signorina Schepis ein Handy hatte?«
»Sie hatte eines …«
»Haben Sie zufällig die Nummer?«
»Selbstverständlich.«
Stucky schob seine Hand in die Tasche und steckte den Zettel mit der Handynummer neben das Blatt, auf dem die Frau die Namen ihrer männlichen Kunden aufgelistet hatte.
Er beschloss, sich erneut eine von den Verkäuferinnen anzuhören, die als Erste belästigt worden waren. Von seinen persönlichen Vorlieben geleitet, entschied er sich für Signorina Bergamin, die er von Kunden belagert antraf. Er fragte sie, ob er sie in der Mittagspause treffen könne.
Während er wartete und ein wenig herumbummelte, hatte er den Eindruck, dass die Nachricht vom Tod der Verkäuferin den Käufern Auftrieb gegeben hatte. Wenn es sich nicht um eine verzerrte Wahrnehmung seinerseits handelte, dann wirkten die Geschäfte wie von einer makabren Neugierde belebt – so, als hätten die Leute im Blick auf die nächste kriminelle Tat eine Wette mit sich selbst abgeschlossen und würden jetzt von Laden zu Laden hasten, in der Hoffnung, noch schnell ein Souvenir zu ergattern, bevor der Mörder erneut zuschlug.
Signorina Bergamin schien über die Aussicht, die Pause mit Stucky zu verbringen, nicht gerade entzückt zu sein, und der Inspektor versuchte, ihre Gemütslage dadurch zu heben, dass er ihr die Qual eines Fast-Food-Lokals ersparte und sie stattdessen in ein kleines Restaurant, wenige Schritte von ihrem Geschäft entfernt, einlud.
»Etwas Warmes, das hilft«, sagte er, während sie Platz nahmen.
»Wir sind verängstigt! Und die Polizei scheint nicht …« Sie hielt sich im letzten Augenblick zurück. »Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, wie wir uns fühlen? Immer im Schaufenster. Wie ausgestellt …«
»Risotto al radicchio für zwei und
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