Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
Straßen wogte inzwischen Rauch empor, der von unten beleuchtet wurde und den Mond aussperrte. Flammen krochen an den Gebäuden empor, die der Mauer am nächsten standen, und sprangen hoch, ließen die Stadt unter sich zurück und brannten in der leeren Luft. Ein weiteres Geräusch, tief und stetig wie eine marschierende Armee, drang heran. Geder spürte den Boden beben und blickte sich nach dem Erdrutsch oder Angriff um. Einen Moment lang stellte er sich vor, dass es ein letzter Drache war, der unter Vanai verborgen gelegen hatte und aus dem Schlaf aufgestört wurde. Aber es war nur die Stimme des Feuers.
Die Tore zitterten, verbogen sich durch die Hitze. Eine Gruppe von Gestalten tauchte auf der Mauer auf, Männer und Frauen, die zu fliehen versuchten. In einem Augenblick, der so deutlich und plötzlich wie ein Blitzschlag kam, war eine einzelne Gestalt vor den Flammen sichtbar. Geder konnte erkennen, dass es eine Frau war. Sie winkte mit den Armen, versuchte etwas mitzuteilen. Er verspürte den plötzlichen, mächtigen Drang, jemanden zu ihr zu schicken, um sie zu retten, aber sie war bereits fort. Flammenzungen erreichten die beinahe leeren Getreidespeicher, und aufgewirbelter Getreidestaub explodierte wie ein Donnerschlag. Kreisend stieg Rauch auf, ein Strudel der Dunkelheit, der die Stadt wie einen Zwerg erscheinen ließ. Die Böe, die an Geder vorbeirauschte, war die Luft, die die Flammen ansogen. Das Brüllen war zu laut, um die Stimme darüber zu erheben.
Geder setzte sich, die Augen aufgerissen, während Aschestückchen um ihn herum herabregneten. Die Hitze der sterbenden Stadt drückte wie die Wüstensonne auf sein Gesicht. Er hatte sich vorgestellt, hier zu sitzen und zuzusehen, bis es vorbei war. Er hatte nicht verstanden, dass Vanai tagelang brennen würde.
Er hatte gar nichts verstanden.
»Gehen wir«, sagte er. Niemand hörte ihn. »Es reicht! Gehen wir!«
Der Befehl ging hinaus, und die Armee von Antea wich vor dem Schmiedeofen zurück. Geder verwarf den Gedanken an seine große rhetorische Geste. Nichts, was er sagen konnte, würde sich mit dieser Feuersbrunst messen können. Er ging zurück zu seinem Zelt, fragte sich, ob sie ihr Lager zu dicht an der Stadt aufgeschlagen hatten. Was, wenn das Feuer die Mauern durchbrach? Was, wenn es ihn holen kam?
Er scheuchte seinen Knappen fort und rollte sich auf seinem Feldbett zusammen. Er war zu müde, um sich zu bewegen, und das alptraumhafte Heulen der Flammen wollte nicht enden. Er starrte hinauf zur Spitze seines Zeltes, sah die kleine Gestalt, die mit den Armen winkte und starb. Geder drückte sich die Hand auf den Mund, biss in die Haut, bis er blutete, und versuchte, das Geräusch zu vertreiben.
Der Rauch von zehntausend Menschen stieg in den Himmel auf.
Cithrin
Die Nachricht von der Zerstörung von Vanai brach über Porte Oliva herein. Auf dem Großmarkt und im Hafen, in den Schenken und den Gasthäusern und auf den Stufen, die in den Palast des Statthalters führten – ein Labyrinth aus Ziegelsteinen und Glas –, häufte sich Einzelheit auf Einzelheit, während Berichte auf dem Seeweg, über Reiter oder aufgrund von grober Spekulation eintrudelten: Die Stadt hatte drei Tage gebrannt. Die Streitkräfte von Antea hatten die Tore versperrt und jeden abgeschlachtet, der einen Fluchtversuch unternommen hatte. Die Kanäle waren trockengelegt worden, damit es kein Wasser geben würde, um das Feuer zu bremsen. Die Anteaner hatten Fässer mit Lampenöl in den Straßen ausgekippt, ehe sie gegangen waren. Die Hitze hatte die Steine gesprengt. Der Rauch hatte den Brandgeruch bis nach Maccia getragen und die Sonnenuntergänge rot gefärbt. Verkohlte Körper verstopften immer noch die Wehre von Neuhaven.
Cithrin grabschte nach jedem Gerücht wie einer der allgegenwärtigen Bettler, die nach heruntergefallenen Münzen Ausschau hielten. Anfangs hatte sie es nicht geglaubt. Städte starben nicht über Nacht. Die Straßen und Kanäle, die sie ihr ganzes Leben lang gekannt hatte, konnten nicht einfach zu Ruinen werden, nur weil jemand es so verfügte, selbst wenn dieser Mann ein General aus Antea war. Es war lächerlich. Aber mit jeder Nacherzählung, mit jeder neuen Stimme, die das Gleiche behauptete, wich ihr Unglauben. Selbst wenn sie alle nur das wiedergaben, was ein anderer gesagt hatte, riss das Gewicht ihres vereinten Glaubens Cithrin mit sich.
Vanai war tot.
»Geht es dir gut?«, fragte Sandr.
Cithrin beugte sich vor, und ihre Beine baumelten
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