Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
vom Rand des Schauspielerwagens herab wie bei einem Kind, das auf einem zu hohen Stuhl saß. Um sie herum bewegte sich die mittägliche Menschenmenge. Sie sah, wie sich ein junger Cinnae, dünn wie ein Schilfhalm, durch die Masse der Körper drückte. Der Geruch des Meersalzes ließ die Luft kühler wirken, als sie war. Sie wusste nicht, wie sie antworten sollte, aber sie versuchte es.
»Ich weiß nicht. Ich denke schon. Es ist schwer, inmitten all dessen zu leben«, sagte sie und deutete mit dem Kinn auf die Menschenmenge um sie herum, »und die Tode wirklich zu spüren. Ich meine, ich weiß, dass Magister Imaniel fort ist. Und Cam muss auch fort sein. All die Jungen, die in den Straßen gespielt haben, sind tot, und das macht mich manchmal traurig. Aber wenn ich anfange, mir vorzustellen, dass es alles fort ist – der Bauernmarkt und die Paläste und die flachen Barken, einfach alles –, dann wird es … ich weiß nicht. Abstrakt?«
»Das ist ein gutes Wort dafür«, sagte Sandr und nickte, als wüsste er, was sie meinte.
»Niemand kennt mich jetzt. Ich habe mein ganzes Leben in Vanai verbracht. Es hat sich angefühlt, als wüsste jeder, wer ich bin. Was ich bin. Und nun sind sie alle fort, es gibt nichts, was mich noch daran bindet. Hauptmann Wester, Yardem Hane, du und die Truppe von Meister Kit. Ihr seid auf der ganzen Welt die Leute, die mich am besten kennen.«
»Es ist schwer«, sagte Sandr und nahm sie bei der Hand.
Nein, das ist das einzig Gute daran , dachte sie. Wenn niemand weiß, wer man ist, kann man alles sein.
»Sandr!«, rief Meister Kit. »Es ist so weit.«
»Ja, Herr«, sagte Sandr und sprang auf. Er blickte auf Cithrin herab und lächelte sanft, ganz ähnlich, wie er es machte, wenn er auf die Bühne trat. »Wirst du noch da sein, wenn es vorbei ist?«
Cithrin nickte. Es war ja nicht so, als gäbe es irgendeinen anderen Ort, an dem sie sein müsste. Außerdem war Sandrs plötzlicher Sinneswandel interessant. Sie nahm an, dass ihn ein hübscheres Mädchen abgewiesen hatte, und während sein Selbstvertrauen sich erholte, war er wieder darauf verfallen, sie zu umwerben. Er glaubte, dass sie nach ihren gemeinsamen Augenblicken neben dem Mühlenweiher eine leichte Eroberung sein würde. Cithrin fragte sich, ob sie das wirklich war. Mehr noch fragte sie sich, ob sie das sein wollte. Sie glitt von dem Karren herunter und verschwand in der Menge.
Mikel war schon dort, um mit halbem Herzen vorzugeben, ein Einheimischer zu sein. Er fing ihren Blick auf und grinste. Sie nickte zurück, dann drehte sie sich um, um Smit und Horniss dabei zuzusehen, wie sie die Bühne herabließen. Als die Ketten gespannt waren, schritt Meister Kit hinaus auf die Bretter. Er trug nicht mehr die Roben von Orcus dem Dämonenkönig. Da Opal fort war, hatten sie die Geschichte von Aleren Menschentod und dem Schwert der Drachen zurückgestellt. Stattdessen floss ein schimmernd blauer Umhang über die Schultern eines dazu passenden Hemdes. Leuchtend gelbes Band hielt grüne Hosen, und die lächerlichsten Schuhe, die je ein Mensch gesehen hatte, baumelten um seine Zehen.
»Hall- lo !«, rief Meister Kit in einem komischen Falsett. »Ich sagte: Hallo, Ihr! Ja, Ihr mit diesem wunderbaren Hut. Weshalb bleibt Ihr nicht ein bisschen stehen. Gott weiß, Ihr habt nichts Besseres zu tun. Und Ihr, Ihr dort hinten. Kommt näher, Ihr seht vielleicht etwas, das Euch gefällt. Was? Vielleicht. Und …«
Meister Kit hielt inne, sein Gesicht eine Maske des Entsetzens. Cithrin spürte ängstliche Erregung und wandte sich halb um, um seinem Blick zu folgen.
»Oh nein, nicht du, meine Liebe«, fuhr Meister Kit mit derselben verstellten Stimme fort, und seine Hand flatterte wie ein Spatz. » Du gehst schön weiter.«
Die Menge lachte. Cithrin und Mikel sollten sie eigentlich führen, aber es gab schon beinahe ein halbes Dutzend andere, die stehen geblieben waren, um zuzuschauen. Der Fluch der Braut war ein derbes Lustspiel mit einem halben Dutzend Kostümwechseln, das mit nur einer Frau aufgeführt werden konnte. Meister Kit hatte die traditionellen Zeilen verändert, damit sie zu den Umständen in Porte Oliva passten: Die Verse, die sich an den König wandten, waren alle für eine Königin umgeschrieben worden, und statt dem bösen Hauswirt, der als Yemmu mit falschen Schultern und Hauern im Mund verkleidet war, sprang Smit in einem Schafspelz auf die Bühne, in den Perlen gewoben waren, und gab den am wenigsten überzeugenden Kurtadam
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