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Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)

Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)

Titel: Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Hanover
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den stillen Augenblicken zwischen dem Hinlegen in der Dunkelheit und dem tatsächlichen Vergessen schienen ihn all die Dinge einzuholen, vor denen er davonlief.
    Er stellte sich vor, was zu Hause in Camnipol geschehen sein mochte. Vielleicht war die Verschwörung hinter dem versuchten Staatsstreich ausgemerzt worden, und man hatte die Urheber in den Straßen gehängt. Das war die größte Hoffnung. Oder vielleicht war eine weitere Welle von angeheuerten Schwertkämpfern gekommen und hatte den halben Hof niedergemetzelt. Er fragte sich, ob Jorey Kalliams Vater diesem denselben Rat gegeben hatte, den Geder angenommen hatte. In welchen Teil der Welt hatte es wohl Jorey verschlagen, wenn er dem Aufruhr aus dem Weg ging?
    Geder stellte sich vor, wie er in ein vollkommen verändertes Königreich heimkehrte. Was, wenn Asterilreich die Söldner nur als ersten Schlag einer darauf folgenden Invasion bezahlt hatte? Wenn Geder sich nach Hause wandte, gab es vielleicht kein Antea mehr, keinen Gespaltenen Thron, kein Bruchhalm. Sein Vater mochte inzwischen vielleicht sogar tot sein.
    Oder vielleicht waren Klin und seine Männer wieder in der Gunst aufgestiegen. Geder malte sich aus, wie er durch das Osttor ritt, nur um Wachen vorzufinden, die ihn festnahmen und in den öffentlichen Kerker warfen. Er stand auf einer Plattform, blickte über ein Meer von verkohlten, verbrannten Gesichtern hinweg – Vanai, auf seinen Befehl hin vernichtet –, ehe er erkannte, dass er endlich in einen Traum hinabglitt.
    Am Morgen waren die Träume verblasst, und seine Diener brachten ihm eine doppelte Handvoll getrockneter Äpfel und einen Blechbecher mit Wasser. Ein halbes Dutzend Männer hatten sich am Ende des Pfades versammelt. Ein niedriger Karren stand neben ihnen, mit Körben voller getrockneter Bohnen und drei frisch geschlachteten Ziegen beladen. Offensichtlich Opfer für den Tempel. Der älteste der Männer klatschte schnell und laut in die Hände, und die anderen packten dicke Seile, um den Karren über die Erde zu ziehen. Geder folgte auf dem Pferd; er war der einzige Mann der Gruppe, der ritt.
    Der Pfad, dem sie folgten, wand sich durch die Hügel, klammerte sich an die Wände von Schluchten und Klippen. Der Stein selbst veränderte sich, wurde zerklüfteter und spitzer, als hätten Jahrhunderte der Verwitterung es nicht geschafft, ihn weicher zu machen. Geder ertappte sich bei Spekulationen, in welchem Verhältnis die Umwelt zu den Drachenstraßen stand. Konnte die gebrochene Landschaft hier die gleiche Beständigkeit besitzen? War es das, wodurch sich die Sinirberge von jenen um sie herum unterschieden?
    Die Formen einiger Steine waren merkwürdig organisch. Es gab sanfte, beinahe anmutige Kurven und Orte, an denen die Steine zusammenzupassen schienen, aneinandergelagert wie Knochen. Auf einer Wiese bemerkte er eine Ansammlung aus bleichem, porösem Stein, der weder zu den trockenen Wüstenfelsen passte, an die sich Geder gewöhnt hatte, noch zu dem neuen unebenen Gelände. Es wirkte, als wäre hier ein Riese gestorben und hätte seine Rippen in einem Wirrwarr auf dem Land hinterlassen. Geder blickte auf und sah den Schädel.
    Die breite Stirn allein war so lang wie sein Pferd. Er hätte sich in die leeren Augenhöhlen kauern können. Die Schnauze verschwand in der Erde, als hätte der gefallene Drache vom Land selbst getrunken, und fünf Zähne, lang wie Klingen, steckten noch im Kiefer. Jahrhunderte im starken Sonnenlicht hatten die Knochen ausgebleicht, aber Wind, Sand und Regen hatten sie nicht verwittert. Geder ließ sein Pferd anhalten und starrte. Die Dörfler zogen ihren Karren weiter, unterhielten sich, ließen einen Wasserschlauch herumgehen. Geder stieg ab und ging zu dem Schädel. Er zögerte, streckte eine Hand aus und berührte den von der Sonne gewärmten Drachenknochen. Der Leichnam lag hier seit tausenden von Jahren. Seit der Zeit, ehe die Menschheit ihre Geschichte begonnen hatte.
    »Fürst?«, rief der junge Mann aus dem Dorf. »Kommt! Kommt!«
    Bebend zog sich Geder wieder in den Sattel und trottete hinterher.
    Die Sonne hatte sich nicht weiter als eine Handspanne bewegt, als die Gruppe eine letzte Biegung um eine hohe Ansammlung von verstreuten Felsen nahm, ein jeder davon so groß wie ein Segelschiff, und der Tempel in Sicht kam. In den Stein des Berges gehauen, starrten Eingänge und Fenster als dunkle Löcher auf die Landschaft heraus. Geder hatte kurz das Gefühl, von einem einzigen, riesigen Insektenauge

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