Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
ihr zu sehen, und die sanften Augen der Frau schienen zufrieden mit dem, was sie erblickten.
»Wir machen noch einen ehrlichen Fuhrmann aus dir, mein Liebes«, sagte sie.
Cithrins Lächeln tat weh in den halb erfrorenen Wangen. »Einen Fuhrmann vielleicht«, sagte sie. »Ehrlich ist eine andere Sache.«
Die Augenbrauen der älteren Frau wölbten sich. »Noch mehr Humor«, sagte Opal. »Womöglich bleibt gleich die Welt stehen. Kommst du zum Essen?«
»Ich denke nicht«, antwortete Cithrin und sah nach einem Maultierhuf. Die kleine Verletzung, die sie am Tag zuvor bemerkt hatte, war noch da, war aber nicht schlimmer geworden. »Ich bin nicht gern bei ihnen.«
»Ihnen?«
»Den anderen. Ich glaube nicht, dass sie mich mögen. Wenn ich nicht wäre, würden sie alle in Bellin um ein Kohlenbecken sitzen. Und der Hauptmann …«
»Wester? Ja, er ist ein ganz schöner Bär, nicht? Ich weiß selbst noch nicht genau, was ich von ihm halten soll«, sagte Opal in einem trockenen und nachdenklichen Tonfall. »Dennoch bin ich mir sicher, dass er nicht beißen würde, außer du bittest ihn darum.«
»Einerlei«, sagte Cithrin. »Ich denke, ich bleibe beim Karren.«
»Dann werde ich dir einen Teller bringen.«
»Danke«, sagte Cithrin. »Und, Opal?«
»Ja?«
»Ich danke dir.«
Die Wächterin lächelte und machte einen kleinen, ironischen Knicks. Cithrin sah ihr nach, als sie zurück zum Mühlenhaus ging. Jemand entzündete dort drinnen ein Feuer, und dünner Rauch stieg aus dem steinernen Kamin auf. Um sie herum glühte der Schnee golden und dann rot und wurde schließlich von einem Augenblick auf den anderen grau. Cithrin legte ihren Maultieren Decken über und entzündete ein eigenes kleines Feuer. Opal kam mit einem Teller Gemüseeintopf und Weizenfladen wieder, dann ging sie zurück zu den Stimmen und der Musik. Cithrin stand auf, um ihr zu folgen, zögerte und setzte sich wieder hin.
Während sie aß, kamen die Sterne heraus. Der Schnee ließ das blassblaue Licht eines Dreiviertelmondes heller wirken, als es hätte sein sollen. Die Kälte wurde größer, und Cithrin kauerte sich dichter an ihr kleines Feuer. Die Kälte sickerte herein, drückte auf sie herab. Engte sie ein. Später, wenn der Hauptmann und der Tralgu nach draußen gegangen waren, um zu kundschaften, und die anderen sich schlafen gelegt hatten, würde sie sich ins Mühlenhaus schleichen und sich eine Ecke suchen, in der sie sich zusammenrollen konnte. Beim Frühstück würde sie den starrenden Blicken und der Neugier der anderen Fuhrleute aus dem Weg gehen und zu ihren Maultieren zurückkehren, so schnell sie konnte. Das Tageslicht war spärlich, und der Karawanenmeister ließ nicht viel Zeit für müßige Unterhaltungen. Jene langen, dunklen, kalten Stunden zwischen dem Ende der Arbeit und dem Schlaf waren der schlimmste Teil ihres Tages. Sie verbrachte ihn damit, sich in ihre Gedanken zurückzuziehen.
Sie fing zum Beispiel damit an, sich leise Lieder vorzusingen oder sich an Stücke und Vorführungen zu erinnern, die sie als Mitglied der Bank besucht hatte. Es dauerte jedoch nicht lange, dann kehrte sie wieder zu Magister Imaniel und seinen ständigen Prüfungen beim Abendessen zurück: der Unterschied zwischen einem Geschenk, das als Entgelt überreicht wurde, und einer offiziellen Leihgabe. Das Paradoxon, wenn zwei Parteien vernünftig vorgingen und dennoch zu einer Lösung kamen, die niemandem einen Vorteil brachte. Die Planung bei einem Einzelvertrag und bei einem Vertrag, der immer wieder erneuert wurde. Diese Rätsel waren die Spielzeuge ihrer Kindheit, und sie kehrte nun zum Trost und zur Aufmunterung zu ihnen zurück.
Sie erwischte sich dabei, wie sie den Wert der Karawane im Ganzen schätzte, die mögliche Gewinnsumme in Carse abwog und beurteilte, wie viel mehr oder weniger sie in Porte Oliva bieten müssten, damit sich die beiden Reisen rechneten. Sie dachte an Bellin und daran, ob eine Besteuerung der Durchreise oder der Unterkünfte das Städtchen reicher machen würde. Wann der Punkt erreicht war, an dem ein Zurücklassen der Karren genauso sinnvoll war wie das Weitermachen. Ob es klug von Magister Imaniel gewesen war, in eine Brauerei zu investieren und sie zugleich gegen Feuer zu versichern. Da sie keine richtigen Informationen hatte, war es nicht mehr als ein Spiel, aber es war das Spiel, das sie am besten kannte.
Im Bankwesen, sagte Magister Imaniel, ging es nicht um Gold oder Silber. Es ging darum, wer etwas wusste, das
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