Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
Nächte waren ewig lang. Aber in der Mitte der Stadt gibt es einen See, und während der ganzen Zeit, in der wir dort waren, konnte man an jeder beliebigen Stelle hinübergehen. Auf dem Eis gibt es eine Winterstadt, die sie jedes Jahr aufbauen. Mit Häusern und Schenken und allem. Wie eine echte Stadt.«
»Wirklich?«, fragte sie.
»Es war herrlich. Hier. Ich glaube, das war’s. Lass mich meine anziehen.«
Sie nahm noch einen Schluck vom verstärkten Wein, und er trieb ihr die Hitze bis in die Finger und Zehen. Irgendwie hatten sie bereits den halben Schlauch geleert. Sie spürte den Wein in den Wangen. Und von den Dämpfen fühlte sich ihr Kopf benebelt und heiter an. Sandr kämpfte und brummte, der Messeraufsatz der Schlittschuhe quietschte und rasselte. Es schien unmöglich, dass etwas so Unförmiges tatsächlich funktionieren sollte, bis er den letzten Riemen angelegt hatte, zum Teich wankte und sich dann auf das Eis hinausschob. Von einem Atemzug auf den anderen wurde er fleischgewordene Anmut. Seine Beine überkreuzten sich abwechselnd, die Kufen zischten, als sie durch das Eis schnitten. Sein Körper drehte sich und stieß vor, als er über den Teich und dann zurück glitt, seine Arme so anmutig wie die eines Tänzers.
»Sie sind nicht schlecht«, sagte er. »Komm schon. Versuch du es.«
Noch ein Schluck Wein, und dann noch einer, der ihr Glück bringen sollte, und Cithrin manövrierte sich hinaus. Kalte Luft schnappte nach ihr, aber ihre Zähne waren stumpf geworden. Ihre Fußknöchel knickten ein, während sie darum kämpfte, aus dieser neuen Art der Gleichgewichtsfindung schlau zu werden. Sie versuchte sich genauso abzustoßen wie Sandr und fiel hart aufs Eis. Sandr lachte vor Vergnügen.
»Beim ersten Mal ist es schwer«, sagte er und kam zischend an ihre Seite. »Gib mir die Hand. Ich zeig es dir.«
Innerhalb von Minuten hatte sie die Knie gebeugt, die Arme ausgestreckt und hackte mit den Beinen auf das Eis ein. Aber sie fiel nicht hin.
»Versuch nicht zu gehen«, empfahl Sandr. »Schieb mit einem Fuß, gleite mit dem anderen.«
»Für dich ist das einfach«, sagte sie. »Du weißt, was du tust.«
»Jetzt ja. Als ich angefangen habe, war ich schlechter als du.«
»Schmeichler.«
»Vielleicht bist du es wert, dass man dir schmeichelt. Nein, so. Das ist es. Das ist es!«
Cithrins Körper fand den richtigen Dreh, und plötzlich glitt sie. Nicht ganz so anmutig und sicher wie Sandr, aber sie war nahe dran. Das Eis flog unter ihr dahin, weiß, grau und schwarz im Licht des Mondes. Die Nacht schmeckte wie der verstärkte Wein und glitt wie ein Fluss um sie herum. Sandr jauchzte und nahm sie bei der Hand, und zusammen stürmten sie über den Mühlenteich. Die Rillen, die ihre Schlittschuhe hinterließen, zogen sich als weiße Linien durch die Düsternis.
Vom Ufer aus kommentierte eines der Maultiere alles mit einem Grunzen und keilte mit den Hinterbeinen aus. Der Fahrtwind pfiff Cithrin in den Ohren. Sie spürte, wie sie grinste und sich drehte. Der Knoten in ihrem Bauch war eine Erinnerung, ein Traum, etwas, das einer anderen widerfahren war. Sie fiel noch zweimal hin, aber es war lediglich lustig. Das Eis war Wolken und Himmel für sie, und sie hatte gelernt zu fliegen. Es quietschte und knirschte unter ihrem Gewicht, und Sandr klatschte in die Hände, als sie eine kunstvolle und linkische Verbeugung in der Mitte des Teichs vollführte.
»Lauf mit mir um die Wette«, rief er. »Hin und zurück.«
Wie ein Pfeil raste Sandr vom hinteren Ufer los, und Cithrin folgte ihm. Ihre Füße taten weh, und ihr Herz pochte wie ein Stein, der von einem Hügel herabrollte; ihr taubes Gesicht war zu einer Maske geworden. Sandr kam am Rand des Eises an, stieß sich vom Schnee ab und raste an ihr vorbei, auf dem Weg zurück zu ihrem Karren. Cithrin drehte sich ebenfalls um, schob schneller und fester an. In der Mitte des Teichs wurde das Eis dunkler und protestierte ächzend, aber sie war schon darüber hinweg, fast an Sandrs Rücken, glitt neben ihn, an ihm vorbei. Beinahe an ihm vorbei.
Ihr Schlittschuh rammte den Schnee und die im Winter abgestorbenen Binsen. Der mondblaue Boden kam ihr entgegen und traf sie so hart, dass sie nicht mehr atmen konnte. Sandr lag neben ihr, die Augen aufgerissen, die Wangen rot, als hätte sie ihn gezwickt. Der überraschte und besorgte Ausdruck auf seinem Gesicht war so komisch, dass Cithrin, als sie wieder konnte, zu lachen anfing.
Sandrs Gelächter fiel in ihres ein, und
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