Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
niemand sonst wusste, darum, wem man vertrauen konnte und wem nicht, und darum, Schein und Sein auseinanderzuhalten. Er, Cam und Besel ließen sich mit den Fragen heraufbeschwören, die sie sich stellte: Sie konnte ihre Gesichter wieder sehen, ihr Lachen hören und in einer anderen Zeit und einem anderen Ort versinken. Einem Ort, an dem sie geliebt wurde. Oder nein, das eigentlich nicht. Aber zumindest einem, wo sie hingehörte.
Noch während die Nacht um sie herum kälter wurde, lösten sich die Krämpfe in ihrem Bauch. Ihr fest zusammengerollter Körper entspannte sich und wurde weicher. Sie legte größere Stöcke ins Feuer, sah zu, wie sich die Flammen erst unter dem Gewicht des Holzes verdüsterten und dann aufleuchteten, als es Feuer fing. Die Hitze ging auf ihr Gesicht und ihre Hände über, und die Wolle, in die sie sich eingewickelt hatte, hielt das Gröbste in Schach, was die Nacht zu bieten hatte.
Was würde passieren, fragte sie sich, wenn eine Bank jenen ein größeres Darlehen anbot, die ihr altes vor der vereinbarten Zeit zurückzahlten? Die Darlehensnehmer würden durch die Übereinkunft mehr Gold gewinnen, und die Bank hätte ihre Gewinne schneller auf der Hand. Und doch , sagte Magister Imaniel in ihren Gedanken, wenn jeder gewinnt, dann hast du etwas übersehen. Es gab irgendeine Konsequenz, die ihr entging …
»Cithrin.«
Sie blickte auf. Sandr huschte halb geduckt aus den Schatten zwischen den Karren hervor. Eines der Maultiere hob den Kopf, schnaubte eine große Fahne weißen Atems aus und kam wieder zur Ruhe. Als Sandr sich hinsetzte, hörte sie ein seltsames Klirren von Metall und das verräterische Schwappen von Wein in einem Schlauch.
»Du hast doch nicht …«, sagte sie, und Sandr grinste.
»Es wird Meister Kit nichts ausmachen. Er hat die Vorräte wieder aufgefüllt, sobald wir in Bellin angekommen waren, um sich auf den Winter vorzubereiten. Nur dass er sie jetzt durchs letzte Ende der Welt schleppen muss. Wir tun ihm einen Gefallen, wenn wir die Ladung leichter machen.«
»Du wirst dich in Schwierigkeiten bringen«, sagte sie.
»Das glaube ich nicht.«
Er öffnete den Schlauch mit einer behandschuhten Hand und hielt ihn ihr hin. Der Geruch der Dämpfe wärmte sie beinahe schon vor dem Wein. Schwer, stark und weich lief er ihr über Mund und Zunge, floss durch ihre Kehle hinab. Seine Wärme entzündete sie, als hätte sie eine Kerze verschluckt. Sie schmeckte keine Süße, sondern etwas Dunkleres.
» Mein Gott «, sagte sie.
»Er ist gut, oder?«, fragte Sandr.
Sie grinste und nahm noch einen langen Schluck. Dann noch einen. Die Wärme breitete sich in ihrem Bauch aus und fing an, in die Arme und Beine zu wandern. Zögerlich gab sie ihn zurück.
»Das ist noch nicht alles«, sagte er. »Ich habe etwas für dich.«
Er zog eine Tasche aus Segeltuch unter seinem Umhang hervor. Der Stoff stank nach Staub und Fäulnis, und darin rutschte etwas klirrend herum, als er ihn auf den Schnee stellte. Seine Augen funkelten im Mondlicht.
»Sie waren im hinteren Lagerraum. Und noch ein paar andere Sachen. Eigentlich hat sie Smit gefunden, aber ich habe an dich gedacht und sie ihm abgeschwatzt.«
Sandr zog einen brüchigen Lederstiefel hervor, der mit einem Band zugeschnürt war. An der Sohle hing eine verwickelte Konstruktion aus rostigem Metall, dunkel und schmutzig bis auf die messerartige Klinge, die der Länge nach angebracht war und hell und frisch geschliffen leuchtete.
»Bist du schon mal eisgelaufen?«, fragte Sandr.
Cithrin schüttelte den Kopf. Sandr zog zwei Paar Stiefel aus dem Sack, ihr altes Leder grau im trüben Licht. Sie nahm noch einmal einen langen Schluck Wein.
»Sie sind zu groß«, sagte er, »aber ich habe etwas Sand eingefüllt. Sand ist gut, denn er verteilt sich, um sich der Form deines Fußes anzupassen. Stoff knüllt sich nur zusammen. Hier, probier sie.«
Ich will nicht , dachte Cithrin, aber Sandr hatte ihren Fuß schon in der Hand, um ihr den Stiefel auszuziehen, und er war so zufrieden mit sich. Der Schlittschuh war kalt, und das verbogene Leder drückte ihr oben auf den Fuß, aber Sandr zog die Schnürung fest und machte mit dem anderen Fuß weiter.
»Ich habe es in Asterilreich gelernt«, sagte Sandr. »Vor zwei … nein, bei Gott, drei Jahren. Ich hatte mich der Truppe gerade erst angeschlossen, und Meister Kit hat uns über den Winter in Kaltfel einquartiert. Es war so kalt, dass einem die Spucke gefror, ehe sie auf dem Boden aufkam, und die
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