Dollbohrer!
schon eine Beleidigung der ganz besonderen Art! Die anderen seiner Geschlechtsgenossen schienen das ähnlich zu empfinden, so wie sie da mit versteinerten Mienen vor ihren Tellern mit dem viel zu weich gekochten Lauchgemüse und dem in einer angeblichen Sahnesoße ertrunkenen Kalbsgeschnetzelten saßen. Die beiden Damen an den beiden Enden des Raumes schien das alles herzlich wenig zu stören!
Während sich ihr Gelächter erneut auf den Weg durch den Saal aufmachte, erhob sich Werner. Traurig packte er sein Tablett und schob es in den dafür vorgesehenen Rückgabeschrank. In solch trostlosen Momenten gab es nur einen Ort, nach dem er sich sehnte. Seinen Lieblingsplatz, die Hausbibliothek! Die er denn auch nur wenige Minuten später betrat, um mit großer Erleichterung festzustellen, der Einzige im Raum zu sein. Natürlich war »Bibliothek« eine Lüge, denn das hier war einfach ein Raum, in dem ein Regal mit einem guten Dutzend Bücher stand, ein paar Sesseln und einem Schachtisch, auf dem aber nie gespielt wurde, weil irgendjemand schon vor Jahren beide Könige geklaut und durch zwei Käsecracker ersetzt hatte, die aber bereits schon bei der nächsten Partie dem Hunger eines Spielers zum Opfer gefallen waren. Aber sie hatten einen Computer! Mit Internet und der Möglichkeit, sich ein eigenes Passwort einzurichten. Das war zwar für diejenigen, die unter Demenz litten, schwierig, weil sie sich nicht nur ihr Passwort nicht merken konnten, sondern auch immer wieder vergaßen, wo sie den Zettel, auf dem sie es notiert hatten, versteckt hatten. Was unterm Strich aber auch nicht wirklich dramatisch war, weil sie ja auch oft schon nach wenigen Minuten nicht mehr wussten, warum sie hier überhaupt saßen.
Werner hingegen wusste sehr gut, warum er hier saß. Der Grund hieß Wilhelm, sein bester Freund seit frühester Jugend! Der rund zweihundert Kilometer entfernt genau wie er in einem Seniorenheim weilte, nur dass er hier in Bad Orb saß und Wilhelm in Maria Laach! Telefonieren im Hause war aufgrund der absolut unverschämten Preistabelle definitiv zu teuer, und Briefe schreiben, so wie sie das früher ausgiebig getan hatten, für Männer jenseits der achtzig zu anstrengend. Auch das Anschaffen eines Handys kam nicht in Frage, da die Frage der gesundheitlichen Langzeitrisiken durch Strahlen immer noch mit zu vielen Fragezeichen versehen war!
Aber E-Mails schreiben, das ging! Und da es nach halb zwei Mittag war, musste Wilhelm, so war die Abmachung, eigentlich genau wie er vorm Computer sitzen. Diese Verabredungen mit ihm waren wichtig, denn Wilhelm war der Einzige, mit dem er sein Problem mit Lotte und deren konstante Unnahbarkeit eingehend besprechen konnte. Und der, wie er selbst auch, keinen Wert auf besonders tolle Formulierungen legte, sondern genauso schrieb, wie er sprach! Schon schickte er die erste Mail des Tages auf die Reise.
»Hallo, Wilhelm! Bist du online?«
Es dauerte wenige Sekunden und schon wies ein Pling auf Wilhelms Antwort hin.
»Bin ich! Gude, Werner!«
Pling
»Gude!«
Pling
»Und, was gab’s heute?«
Pling
»Aufgeweichtes Allerlei für Zahnlose! Und bei euch?«
Pling
»Angeblich marokkanisches Gulasch! Mit Zimtgeschmack! Des schmeckt ungefähr so wie Bratwurst mit Vanillesoße!«
Pling
»Eieiei! Und zum Nachtisch wahrscheinlich noch Apfelstrudel mit Knoblauch! Vielleicht sollten sie mal en richtigen Koch in die Küche lassen statt en arbeitslose Laborassistent!«
Pling
»Ich hab die Theorie, dass sie über den Weg die Zimmer für die Privatversicherten frei bekommen wolle! Was ihnen aber bei mir net gelingen wird. Wer ein Jahr in britischer Gefangenschaft war und denen ihr Zeug gefressen hat, den kannste mit so ’nem halbschwulen Gulasch noch lang net beseitigen! Sag mal …was tut sich denn mit Lotte?«
Pling
»Leider nix. Hat wieder allein gegessen und niemanden eines Blickes gewürdigt. Wie immer!«
Pling
»Hast du sie angesprochen?«
Pling
»Net direkt. Aber ich hab ihr den Salzstreuer hingestellt, weil wie immer auf ihrem Tisch keiner stand!«
Pling
»Und sie hat nicht mal ›Danke‹ gesagt?«
Pling
»Nee. Vielleicht hat sie es auch gar nicht mitbekommen.«
Pling
»Quatsch! Weiber kriegen immer alles mit! Die sind wie Geheimagenten. Lassen sich nichts anmerken und checken und spionieren dich dabei von Kopf bis Fuß aus!«
Pling
»Meinst du?«
Pling
»Weiß ich. Meine Martha war auch so eine. Dagegen war der CIA ein Scheißdreck! Die konnt mir noch über
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