Dolly - 08 - Eine aufregende Mitternachtsparty
Hochwohlgeboren tranken das Glas in einem Zug leer. Die
Freundinnen stießen sich an und warfen sich bedeutungsvolle Blicke
zu. Auch Evelyn hatte einen tüchtigen Zug genommen,
wahrscheinlich wollte sie sich Mut antrinken.
Das junge Paar wurde auf die Ehrenplätze bugsiert und von allen
Seiten gleichzeitig bedient. Vor allem im Nachschenken waren Will
und Clarissa sehr eifrig. Evelyn erblühte wie eine Rose, ihr Gesicht
glühte, vor allem aber ihre Phantasie. Zwei Gläser Bowle hatten sie
vergessen lassen, daß die Freundinnen zuhörten, und so plauderte sie
munter drauflos. Ihre gesamte Vergangenheit kramte sie vor dem Prinzen aus, glücklich, einmal wieder davon sprechen zu können. Das große Haus, in dem sie aufgewachsen war, wurde noch größer, die Dienerschar zahlreicher, ihre alte Hauslehrerin verdoppelte sich und mußte eine Geschlechtsumwandlung über sich ergehen lassen. Sie wurde zu zwei Hauslehrern. Neugeboren wurden dafür eine Amme
und ein eigenes Pferd.
Zwischendurch legte der Prinz los, schwärmte von seinen
bescheidenen, wenn auch wertvollen Besitzungen in Österreich, die
ein kümmerlicher Rest dessen waren, was die Familie einstmals in
Ungarn und Rußland besessen hatte.
Leider konnte er sich selbst nur einen bescheidenen Lebensstil
leisten, denn das Vermögen verwaltete vorläufig noch seine Mutter.
An ihm wäre es, sich durch eifriges Studium und zurückhaltende
Lebensweise die Sporen für die Stellung zu verdienen, die er eines
Tages innehaben würde. Interessante Reisen, Jagden, Bälle,
Auktionen in London und Paris, auf denen er für die Mama wertvolle
Kunstschätze erworben hatte, wirbelten durch den Raum.
Die Freundinnen kamen bei diesen beiden Märchenerzählern voll
auf ihre Kosten.
„Genauso habe ich mir das vorgestellt”, raunte Clarissa Dolly
schwärmerisch ins Ohr. Dolly nickte grinsend.
Die Mädchen taten alles, um die Stimmung der beiden
Hauptpersonen in immer neue Höhen zu treiben. Bowle und
Kaminfeuer taten ihre Wirkung, und schließlich bat der Prinz, sein
Jackett ausziehen zu dürfen. Susanne, die zufällig hinter ihm stand,
war ihm behilflich. Sie nahm ihm die Jacke ab und hängte sie im Flur
auf einen Haken. Dabei purzelte ihr etwas vor die Füße.
„Verd…” Susanne bückte sich schnell danach. „Die Brieftasche des
Prinzen, sieh mal einer an.”
Noch während Susanne die Brieftasche unschlüssig in der Hand
hielt, kam Dolly aus dem Zimmer.
„Was hast du da? Na so was! Zeig mal her!”
„Sie ist mir rausgefallen. Tu sie wieder in die Brusttasche zurück.”
Susanne wollte Dolly die Brieftasche in die Hand drücken, da rutschte
sie ihr weg und fiel auf den Boden. Der Inhalt verteilte sich
gleichmäßig über ihre Füße.
„Verflixte Bowle!” schimpfte Susanne und starrte auf die
Bescherung.
„Na, so ein Zufall!” Dolly kniete neben ihr nieder und griff
blitzschnell nach dem Ausweis des Prinzen. Beim Lesen verklärte sich
ihr Gesicht. „Schööön!” stöhnte sie genüßlich.
„Was ist?”
„Willst du mal wissen, wie Seine Königliche Hoheit wirklich
heißen? Hans-Bruno Kuhlke! Beruf: Friseur – Heimatadresse: Wien,
Carolusgasse – und hier: der Mietschein für den tollen Flitzer draußen
auf dem Parkplatz.”
„Meine Ahnung!” sagte Susanne düster. „Was machen wir jetzt?” „Na, erst mal das Zeug schnell wieder aufsammeln. Und dann…” „Müßten wir Evelyn nicht eigentlich aufklären?”
„Nun, sie hat ihn ja schließlich genauso belogen. Kein Wort von
dem finanziellen Zusammenbruch und den einfachen Verhältnissen, in
denen sie jetzt lebt. Im Gegenteil, er muß sie für eine Millionenerbin
halten!”
„Ich weiß nicht – trotzdem – sie tut mir irgendwie leid. Ich hab’s.
Wir werden die Brieftasche zurückstecken – aber aus Versehen in
ihren Mantel.” Und das taten sie.
Der Prinz wurde schläfrig von der vielen Bowle und verabschiedete
sich, nicht ohne häufige Besuche in der Zukunft anzukündigen. Mit
einem Rest strammer Haltung stakste er zu seinem Auto und fuhr ab.
Evelyn winkte ihm selig nach, hüllte sich in ihren Mantel und
verschwand auf ihrem Zimmer.
Am nächsten Tag war Evelyn sehr blaß, sie erschien nur kurz, um
sich einen Kamillentee und etwas trockenen Toast zu besorgen, und
schloß sich dann wieder auf ihrem Zimmer ein. Vom Prinzen
Brunerowitsch wurde nie wieder gesprochen.
Die merkwürdige Frau Parker
Während Dolly und ihre Freundinnen den Empfang für Evelyn gegeben hatten, waren die humpelnde Judith und Yella zum Besuch
Weitere Kostenlose Bücher