Dolly - 12 - Die juegste Burgmoewe
Neustadt-Niedernberg.“
„Neustadt-Niedernberg? Wie kommst du dann hierher?“
„Ich gehe hier zur Schule. Landschulheim Burg Möwenfels, Nordturm“, sagte Olivia rauh. Langsam wurden ihr die Knie weich, da hatte sie sich ja prächtig was eingebrockt!
„Und du?“
„Simonetta Heinrich, ich gehöre ebenfalls nach Burg Möwenfels.“
„Danke, das genügt. Ihr werdet von mir hören“, sagte die Dame kalt und drehte sich um. Dann stieg sie in ihren Wagen, gab ein paarmal wütend Gas und brauste davon.
„Siehst du nun, daß sie zu schnell fährt?“ empörte sich Olivia.
„Ja, aber das nützt uns jetzt auch nichts mehr. Komm, machen wir lieber, daß wir in den Stall zurückkommen.“
Die nächsten Tage war Olivia sehr schweigsam. Und jedesmal, wenn ein Auto vor dem Portal hielt, zuckte sie nervös zusammen. Sie hatte ihr Abenteuer nur Clarissa gegenüber erwähnt, und auch das lediglich sehr abgeschwächt. Sie habe Ärger mit einer Autofahrerin gehabt, die ihretwegen habe bremsen müssen. Aber wie hätte sie auch wissen können, daß die Fahrbahn an der Stelle so vereist gewesen sei! Die Autofahrerin hätte sie beschimpft und wäre dann weitergefahren. Dolly sagte sie nichts, obgleich sie sich jeden Abend vorm Einschlafen vornahm, am kommenden Tag eine Generalbeichte abzulegen.
Als nach einer Woche immer noch nichts geschehen war, beruhigte sich Olivia wieder etwas. Vielleicht hatte die Autofahrerin den Zettel mit ihrem Namen verloren, vielleicht war ihr die ganze Sache nicht wichtig genug, um sie weiter zu verfolgen. Im Zorn sagte man viel, was man später nicht mehr so ernst nahm.
Doch am folgenden Dienstag, sie hatten gerade Arbeitsstunde unter Aufsicht von Madame Monnier, fuhr draußen ein Auto vor. Olivia fühlte instinktiv, daß dieses Auto ihretwegen kam. Zwei Herren stiegen aus, sie hörte, wie sie sich im Hof nach dem Büro der Direktorin erkundigten, dann entfernten sich die Stimmen.
Olivias Herz klopfte bis in den Hals hinauf, sie hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Warum hatte sie Dolly die dumme Geschichte nicht sofort erzählt! Warum hatte sie nicht versucht, die Adresse der Dame herauszubekommen, um sich bei ihr zu entschuldigen! Was sollten die anderen von ihr denken, daß sie so feige gewesen war! Und Frau Direktor Greiling! Was würde sie sagen, wenn sie nun erfuhr, daß eine ihrer Schülerinnen eine Autofahrerin fahrlässig in Lebensgefahr gebracht hatte und sie dann obendrein noch beschimpfte, als hätte sie eine Erstkläßlerin vor sich!
Und Dolly – würde sie es ihr jemals verzeihen, daß sie ihr die schlimme Geschichte verschwiegen hatte? Olivia schämte sich in Grund und Boden, wenn sie daran dachte, wie Dolly und Herr Schwarze die Geschichte anhören würden und sie fassungslos und enttäuscht anschauen würden. Enttäuscht darüber, daß sie – Olivia – zu so etwas fähig war! Daß sie so ein Feigling war und sich nicht getraut hatte, ihre Schuld einzugestehen und wiedergutzumachen! Eine Viertelstunde verging, da klopfte es hart an die Tür. Eines der Mädchen aus der Sechsten steckte den Kopf herein und sah sich um.
„Entschuldigen Sie, Madame Monnier, ist Olivia Reichberg hier? Sie möchte bitte sofort zur Frau Direktor kommen!“
„Also doch“, murmelte Olivia und warf einen hilfeflehenden Blick zu Mona hinüber.
„Verdammt“, murmelte Mona. „Herzliches Beileid. Ich halte dir die Daumen. In Handschellen abführen werden sie dich ja nicht gleich, also trag es mit Fassung.“
Olivia nickte stumm und ergeben. Schneeweiß im Gesicht, mit weichen Knien, verließ sie die Klasse. Madame Monnier und die Mädchen schauten ihr erstaunt nach. Olivia hörte, wie sie tuschelten und fragten.
Ja, redet nur, dachte Olivia. Wenn ich Pech habe, werden wir uns nie wiedersehen. Vielleicht bin ich in einer Viertelstunde gefeuert, weil ich mich der Burg nicht würdig genug erwiesen habe! Mein Gott, und Vati! Wie enttäuscht wird er sein. Ein Versager bin ich, er hätte so etwas nie getan!
Unter solchen und ähnlichen Selbstzerfleischungen erreichte Olivia das Zimmer der Direktorin. Drinnen wurde geredet, Olivia erkannte zwei Männerstimmen und die Stimme von Frau Greiling. Jetzt sprach auch Dolly. Du lieber Himmel, mußten sie denn Dolly sofort dazuholen!
Es half nichts, sie mußte hinein. Olivia biß die Zähne zusammen. Sollte sie gleich etwas sagen? Gleich mit einer Beteuerung hineinstürzen, wie leid ihr die ganze Geschichte täte? Oder sollte sie mit ihrer Verteidigung warten,
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