Dolly - 12 - Die juegste Burgmoewe
Vormittags in ihre Privaträume gingen, außerdem hatte die Sauer hektische rote Flecken auf den Wangen.
„Geht es Ihnen nicht gut, Fräulein Sauer?“ erkundigte sich Dolly. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Nein, nein“, stotterte die Lehrerin. „Ich habe nur etwas in meinem Zimmer vergessen.“
Sie schlug die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel herum. Mit fliegenden Fingern öffnete sie den Umschlag. Ein handgeschriebener Zettel lag darin. Eine Nachricht – aber was für eine! Fräulein Sauer bebte vor Erregung.
Hast du heute nachmittag Zeit, Liebes? stand darauf. Klaus möchte sich mein Motorrad ausleihen, ich kann dafür seinen Wagen haben. Wir könnten ein bißchen über Land fahren. Küßchen, Dein F.
Das waren ja Ungeheuerlichkeiten, die sie da entdeckte! Das stille Fräulein Wieland hatte etwas mit dem Wollert! Wie viele solcher Nachrichten hatte Fräulein Sauer schon hin-und hergehen sehen! Harmlos aussehende Zettel und Umschläge, die sich scheinbar auf den Unterricht und die Schülerinnen bezogen und in Wirklichkeit…
Fräulein Sauer schnaufte hörbar auf. Dem würde sie ein Ende bereiten! Sie würde die beiden bloßstellen, sie blamieren, daß ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihre Stellung in Burg Möwenfels aufzugeben!
Fräulein Sauer trat ans Fenster und überlegte fieberhaft. Damit war sie schon einmal hereingefallen, als sie das Ehepaar Schwarze damals bei ihrer Verlobung überraschte. Das Gegenteil von dem, was sie erwartet hatte, war geschehen: Frau Direktor Greiling hatte den beiden die Hochzeit ausgerichtet und Herrn Schwarze als Lehrer in Burg Möwenfels angestellt. Es war gut möglich, daß ein Gleiches mit Ellen Wieland und Herrn Wollert passierte. Eine heimliche Liebesbeziehung war in den Augen der Direktorin scheinbar keine so schwerwiegende Sünde, wenn ernste Absichten dahinterstanden.
Nein, sie mußte sich schon etwas anderes einfallen lassen, ein wirklich schwerwiegendes Vergehen gegen Moral und Anstand. Wie, wenn sie den Brief nun anderweitig benutzte? Aus dem Text ging nicht hervor, an wen der Brief gerichtet war. In Fräulein Sauers Gedanken reifte ein böser Plan.
Das waren ja Ungeheuerlichkeiten! dachte Fräulein Sauer
Zunächst einmal steckte sie den eben gelesenen Brief in einen frischen Umschlag. Dann kehrte sie ins Lehrerzimmer zurück. Fräulein Wieland und Herr Wollert waren mit dem verletzten Mädchen auf die Krankenstation gegangen. Nur Madame Monnier saß am Tisch und blätterte in einem Stapel Hefte. Fräulein Sauer gelang es leicht, den Umschlag in Ellen Wielands Tasche fallen zu lassen.
Am Nachmittag wartete sie, bis Ellen Wieland die Burg verlassen hatte. Dolly machte mit den Mädchen aus der Ersten einen Spaziergang, um neue Tannenzweige zu holen, KlausHenning Schwarze war mit dem Motorrad Franz Wollerts davongefahren.
Ellen Wieland pflegte ihr Zimmer nicht abzuschließen, das wußte sie. Sie hielt es nicht für nötig. Sie habe keine Geheimnisse, hatte sie einmal gesagt, und fände es lächerlich, ihren Mitmenschen so zu mißtrauen, als hätten sie nichts Besseres zu tun, als in ihren Sachen zu wühlen. Nun, auch über diesen Punkt war Fräulein Sauer anderer Meinung. Jetzt allerdings war sie Ellen Wieland dankbar, daß sie ihr so ohne weiteres Zugang zu ihrem Zimmer gestattete.
Fräulein Sauer blieb einen Augenblick im Flur stehen. Sie lauschte, ob niemand in der Nähe war, dann klopfte sie an die Tür. Nur für den Fall, daß sie übersehen haben sollte, daß jemand sich im Zimmer von Fräulein Wieland aufhielt, obwohl das eigentlich undenkbar war.
Alles blieb still. Entschlossen betrat Fräulein Sauer den kleinen behaglichen Raum, dem die junge Lehrerin mit wenigen Mitteln eine eigene Note verliehen hatte. Wo würde sie Briefe, die niemand zu Gesicht bekommen sollte, aufheben – im Kleiderschrank? Im Schreibtisch? Oder in der Nachttischschublade?
Fräulein Sauer versuchte es zuerst in der Nachttischschublade. Und sie hatte Glück, da lagen – unter ein paar Büchern und Heften verborgen – sämtliche Briefe und Zettel, die Herr Wollen seiner jungen Kollegin geschrieben hatte. Fräulein Sauer horchte noch einmal nach draußen, dann versenkte sie sich in die Lektüre der heimlichen Liebesbotschaften.
Wenn sie gehofft hatte, glühende Liebesbeteuerungen zu lesen, so wurde sie enttäuscht. Das meiste waren Verabredungen, hin und wieder ein Zitat aus einem Buch oder ein Gedicht, ein zärtlicher Morgengruß oder ein Scherz. Immerhin waren
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