Dolly - 12 - Die juegste Burgmoewe
wir vier, Du, Franz Wollert, Klaus und ich, zu Frau Greiling gehen und ihr die ganze Geschichte darlegen, um sie zu bitten, Fräulein Sauer von der Schule zu entfernen.“
„Aber…“
„Keine Sorge. Weder Klaus noch dein Franz Wollert werden etwas von der Geschichte erfahren, und Frau Greiling – wenn die Sauer vernünftig ist – auch nicht. Und sie wird vernünftig sein, verlaß dich drauf. Glaubst du, sie möchte als Diebin angeprangert werden?“
„Sicher nicht.“
„Dann gib mir die Briefe. Heute abend gehe ich zu ihr. Ich erzähle dir später, wie die Unterredung ausgegangen ist. Wenn ich Hilfe brauche, rufe ich dich.“
Am nächsten Morgen war Fräulein Sauer krank. Und schon am Abend hörte man, sie habe Burg Möwenfels verlassen, um sich in einem Krankenhaus einer längeren Behandlung zu unterziehen.
„Sie läßt sich die Giftzähne rausoperieren“, sagten einige der Mädchen hinter vorgehaltener Hand.
„Sie läßt sich den Essig aus den Adern pumpen“, sagten andere. „Die Ärzte haben festgestellt, daß ihr Blut zu fünfzig Prozent aus Salzsäure besteht.“
Am nächsten Morgen verkündete Fräulein Pott vor der Klasse von Fräulein Sauer, das bedauernswerte Fräulein habe aus gesundheitlichen Gründen ihre Stellung aufgeben müssen und werde auch nach den Ferien nicht mehr zurückkehren.
„Was wohl plötzlich in die Sauer gefahren ist, noch vor Weihnachten die Flucht zu ergreifen“, wunderte sich Klaus. „Hast du eine Ahnung, warum?“
„Kennst du das Stück ,Der zerbrochene Krug’?“ fragte Dolly.
„Ja, warum?“
„Dann kennst du vielleicht auch die Stelle, wie Eve im Verhör dem Richter sagt: ,Geheimnisse, die nicht mein Eigentum…’? So ist das auch hier. ‚Geheimnisse, die nicht mein Eigentum’ müßte ich vor dir aufdecken, wenn ich dir den Grund verraten würde. Ich kann dir nur so viel sagen: Es ist die erste vernünftige Tat, die Fräulein Sauer hier in der Burg vollbracht hat.“
„Der Ansicht bin ich allerdings auch. Selbst wenn ich dieses große Geheimnis nicht kenne. Ich nehme an, es handelt sich wieder um eine Frauensache.“
„So ist es, mein Liebling. Aber beruhige dich, eines Tages werde ich dir die ganze Geschichte erzählen.“
Der Elternbesuchstag kam, und die Burg glänzte und leuchtete wie ein geschmückter Christbaum. Im ganzen Haus duftete es nach Kerzen und Weihnachtsgebäck, Musik tönte aus allen Ecken, und die Mädchen liefen mit lachenden Gesichtern und blitzenden Augen herum.
Nach einer Begrüßungsansprache der Direktorin wurde das Weihnachtsspiel aufgeführt, umrahmt von Chorgesängen und Orchestermusik.
Dolly hörte die festlichen Klänge und den Applaus nur von weitem. Sie hatte alle Hände voll zu tun, die Schlafsäle der Mädchen zu kontrollieren, zu sehen, ob die Koffer richtig gepackt waren und nichts vergessen im Schrank zurückblieb. Hatte keiner seine liebevoll gepackten Geschenke im Gemeinschaftsraum vergessen? Standen keine Zahnbürsten mehr in den Bechern, lag keine Sportkleidung in den Garderoberäumen herum? Waren alle Winterstiefel aus dem Keller geholt worden und die Reitgerten nicht in einer Schrankecke hängengeblieben?
So hastete sie von einem Raum in den nächsten und war dankbar, daß sie für zwei Stunden einmal nicht mit Fragen und Erzählungen bestürmt wurde.
Nach den Vorführungen hatten die Eltern Gelegenheit, mit den Lehrern über die Leistungen der Mädchen zu sprechen, dann setzte man sich zu einem gemeinsamen festlichen Abschiedsessen zu Tisch. Der Speisesaal glänzte im Kerzenlicht, kleine Tannengebinde mit rotbackigen Äpfeln und goldenen Nüssen schmückten die langen Tafeln. Die Mädchen bedienten heute die Eltern, dann ließen sie sich zwischen ihnen zum Essen nieder.
Olivia wurde von ihrem Vater abgeholt, auf der anderen Seite saß Mona. Sie würde mit den beiden fahren und gleich nach den Weihnachtsfeiertagen zu Olivia umsiedeln, um später mit ihr in die Berge zu fahren. Schon jetzt schwärmten sie von gemeinsamen Skiabenteuern.
Ollys Eltern futterten mit dem gleichen Appetit wie ihre Tochter und waren von allem, was sie hörten und sahen, so begeistert, daß Ollys Mutter endlich seufzte: „Schade, daß ich nicht mehr jung genug bin, um Schülerin in Burg Möwenfels zu sein!“
Vivi wurde von ihrer großen Schwester Susanne abgeholt, die es besonders genoß, einmal wieder wie einst im Speisesaal der Burg zu essen. Nur schade, daß Dolly nicht auch wie früher neben ihr sitzen konnte! Dafür schwatzten und
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