Dolly - 18 - Sag ja, Dolly!
erboten, die Aufsicht über die in der Burg Zurückgebliebenen zu übernehmen.
Aus der rückwärtigen Tür des Busses hatten sich inzwischen die Mädchen gedrängt und waren ins Foyer vorausgelaufen. Dolly verteilte die Karten und ermahnte alle, beieinanderzubleiben und sich nach der Vorstellung hier im Foyer neben dem Eingang einzufinden.
„Wir sind doch keine Babys mehr”, maulte ein Mädchen aus dem
Westturm.
„Sicher nicht”, antwortete Dolly lächelnd. „Aber die eine oder
andere könnte auf die Idee kommen, Jochen Stark am
Künstlerausgang abzupassen und um ein Autogramm zu bitten. Hebt
euch das bitte für eine andere Gelegenheit auf, der Bus wartet nicht.” Im großen Festsaal hatte man zwanzig Stuhlreihen aufgestellt. Das
Podium war zu einer geräumigen Bühne umgebaut und mit einem
Vorhang versehen worden. Eine Reihe zusätzlicher Scheinwerfer hatte
in den hinteren Ecken und an beiden Seiten Platz gefunden. Olly sah
sich vergeblich nach Faden um, aber der gehörte ja zu einem
Filmteam und nicht zum Tournee-Theater. Mona und Susu
übernahmen es, Programme zu verteilen, und ehe sie Zeit gefunden
hatten, die Namen der Rollen und ihrer Darsteller zu studieren, wurde
es dunkel. Der Vorhang rauschte zur Seite, und die aufflammenden
Scheinwerfer tauchten die sparsam dekorierte Bühne in ein golden
schimmerndes, sanftes Licht.
Die Mädchen hatten das Stück vorher gelesen, und manche war
zunächst ein wenig enttäuscht, nicht das erwartete, prächtige
Bühnenbild zu sehen. Doch bald zog das Spiel sie so in seinen Bann,
daß sie die Kargheit der äußeren Form vergaßen und die eigene
Phantasie hinzufügte, was den Augen vorenthalten wurde. In der
Pause sprachen sie darüber.
„Ich finde das super so!” sagte Olly. „Keiner schreibt mir vor, wie
ich mir Venedig zu dieser Zeit vorzustellen habe. Ein Stuhl, ein
angedeuteter Schiffsbug, eine einzelne Säule, ein Stück wehender
Vorhang – und ich habe das Bild fertig in meinem Kopf!”
„Ich finde die Sprache so toll”, meinte Vivi. „Wenn man sie liest,
empfindet man sie doch als ein bißchen altmodisch und umständlich.
Aber wenn sie auf der Bühne in Spiel umgesetzt wird, merkt man das
gar nicht mehr.”
„Also, Jochen Stark als Othello – einsame Spitze!” stellte Gusti fest.
„Auch wenn man ihn unter der schwarzen Schminke gar nicht mehr
erkennt.”
„Fein, daß es euch gefällt”, sagte Dolly. „Was haltet ihr davon, wenn wir nach den Weihnachtsferien in der Burg eine feste
Theatergruppe gründen?”
„Au ja! Und dann laden wir Jochen Stark als Regisseur ein”, schlug
Maria vor.
„Ich bin mehr für Peter Schroeder, der den Cassius spielt. Den finde
ich unheimlich edel. So ein schmales, klassisches Gesicht…” Andrea
blätterte das Programm auf der Suche nach dem Foto des
Bewunderten durch.
„Zu mager”, entschied Olivia. „Gerd Philipp spielt zwar einen
Schurken, aber schau mal, was der privat für niedliche Grübchen hat!” „Es läutet, Kinder, wir müssen wieder rein. Und denkt dran:
Treffpunkt genau hier, damit wir uns in dem Gewühl nach der
Vorstellung nicht verlieren.”
Es dauerte dann aber doch eine kleine Ewigkeit, bis sich alle am
vereinbarten Treffpunkt eingefunden hatten, weil die Mädchen einfach
nicht aufhören mochten zu applaudieren. Als die letzten bei Dolly
eintrafen, war die Direktorin mit den Lehrerinnen schon
vorausgegangen.
„Beeilt euch bitte, wir wollen Frau Greiling doch nicht warten
lassen!” mahnte Dolly. „Hat jede ihren Mantel?”
„Alles klar!” meldete Olivia von hinten. „Wir können gehn.” Dolly trat als erste vor das große Portal und blieb wartend hinter
einer Gruppe stehen, die wegen des lebhaften Autoverkehrs die Straße
nicht überqueren konnte. Plötzlich hörte sie einen entsetzten
Aufschrei. Bremsen quietschten, ein Auto kam schleudernd zum
Stehen.
„Frau Greiling! Um Gottes willen!”
„Einen Arzt, schnell!”
„Einen Krankenwagen! Rufen Sie einen Krankenwagen!” Dolly bahnte sich einen Weg durch die Menge und stand gleich
darauf vor der blutüberströmten Direktorin, die bewußtlos am Boden
lag. Dolly beugte sich zu ihr hinunter und versuchte mit zitternden
Händen, den Körper der alten Dame vorsichtig abzustützen, ohne eine
mögliche Verletzung durch ungeschickte Bewegungen noch zu
verschlimmern.
„Mein Gott, wie hat das passieren können?” flüsterte sie. „Sie hat den heranrasenden Wagen wohl übersehn. Ich habe sie
noch aufhalten wollen!” jammerte Fräulein
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