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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Mündungsfeuer, dann wieder ein lautes Dröhnen. Danach zu urteilen, wie die Männer (ich nehme an, daß es Männer waren, aber ich bin da nicht ganz sicher) hin und her schwankten - und wie die Pickups Schlangenlinien fuhren -, muß die ganze Horde stockbesoffen gewesen sein. Ich erkannte auch einen der Wagen.
    Wem er gehört?
    Nein, das sage ich euch nicht - ich hab auch so schon genug Probleme. Wegen einer kleinen besoffenen Knallerei in der Nacht reiß ich niemanden mit rein. Vielleicht hab ich den Wagen doch nicht erkannt. Jedenfalls riß ich das Fenster auf, nachdem ich gesehen hatte, daß sie nur in ein paar tiefhängende Wolken Löcher schössen. Ich nahm an, daß sie auf dem freien Platz am Fuße unseres Hügels wenden würden, und das taten sie auch. Einer von ihnen wäre fast steckengeblieben; wär das ein Spaß gewesen!
    Sie kamen zurück, hupend und grölend. Ich legte die Hände an den Mund und schrie mit höchster Lautstärke: »Haut ab! Hier gibt es Leute, die schlafen wollen!« Einer der Wagen machte einen größeren Bogen und wäre fast im Straßengraben gelandet, also habe ich ihnen wohl tatsächlich einen Schrecken eingejagt. Der Kerl, der auf der Ladefläche dieses Wagens stand (das war der, von dem ich bis vor ein paar Sekunden glaubte, ich hätte ihn erkannt), verlor das Gleichgewicht und schmetterte hin. Ich habe ganz schön kräftige Lungen, wenn ich das von mir selbst sagen darf, und wenn ich will, kann ich es im Schreien mit jedem aufnehmen.
    »Verschwinde von Little Tall, du verdammte Mörderin!« brüllte einer von ihnen zurück und schoß noch einmal in die Luft. Aber das war nur ihre Art, mir zu zeigen, was für große Eier sie hatten, nehme ich an, weil sie es dabei bewenden ließen. Ich konnte hören, wie sie in Richtung Dorf davonratterten - zu dieser verdammten Kneipe, die vorletztes Jahr aufgemacht hat, möchte ich wetten - mit scheppernden Stoßdämpfern und Fehlzündungen, die bei ihrer verrückten Schalterei aus den Auspuffrohren knallten. Ihr wißt ja, wie Männer sind, wenn sie besoffen am Steuer eines Pickups sitzen.
    Nun, jedenfalls riß mich das aus meiner trübseligen Stimmung raus. Ich hatte keine Angst mehr, und mir war auch nicht mehr nach Weinen zumute. Ich war stocksauer, aber nicht so wütend, daß ich nicht mehr denken oder begreifen konnte, warum die Leute das taten, was sie taten. Als meine Wut noch immer anstieg, machte ich der Sache ein Ende, indem ich an Sammy Marchant dachte und daran, wie seine Augen ausgesehen hatten, als er da auf der Treppe kniete und zuerst das Nudelholz ansah und dann zu mir aufschaute - sie waren so dunkel gewesen wie der Ozean vor einer Gewitterfront, genau wie die von Selena an jenem Tag im Garten. Ich wußte schon, daß mir nichts anderes übrigblieb, als wieder hierherzukommen, Andy, aber erst als die Männer verschwunden waren, hörte ich auf, mir weiszumachen, daß ich mir immer noch aussuchen könnte, was ich erzählte oder verschwieg. Ich begriff, daß ich mit allem rausrücken mußte, was ich getan habe. Ich ging wieder ins Bett und schlief friedlich bis viertel vor neun. So lange habe ich seit der Zeit vor meiner Ehe nicht mehr geschlafen. Wahrscheinlich brauchte ich den Schlaf, um die halbe Nacht reden zu können - was ich jetzt auch so ziemlich getan habe.
    Und das war es auch, was ich vorhatte, sobald ich aufgewacht war - bittere Medizin nimmt man am besten gleich ein -, aber bevor ich aus dem Haus gehen konnte, brachte mich etwas aus dem Gleichgewicht; sonst hätte ich euch all das schon wesentlich früher erzählt.
    Ich wusch mich, und bevor ich mich anzog, stöpselte ich das Telefon wieder ein. Die Nacht war vorbei, und ich steckte nicht mehr halb und halb in irgendeinem Traum. Ich nahm mir vor, wenn jemand anrief und mich beschimpfte, dann würde ich meinerseits ein paar Schimpfwörter loslassen, angefangen mit »Feigling« und »drekkige Schnüffelnase«. Und kaum hatte ich meine Strümpfe angezogen, klingelte es tatsächlich. Ich nahm den Hörer ab, bereit, der Person am anderen Ende der Leitung eine gute Dosis zu verpassen, als eine Frauenstimme sagte: »Hallo? Könnte ich bitte mit Miz Dolores Claiborne sprechen?«
    Ich wußte sofort, daß es ein Ferngespräch war, nicht nur wegen des kleinen Echos, das wir hier haben, wenn ein Gespräch von weither kommt. Ich wußte es, weil niemand auf der Insel eine Frau »Miz« nennt. Man kann eine Miss sein oder eine Missus, aber Miz ist noch nicht übers Wasser vorgedrungen,

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