Dolores
hereinkam. Dann lag sie zusammengekauert im Bett, drückte die ineinander verkrampften Hände zwischen die Brüste, und ihr zahnloser alter Mund war verzerrt und zitterte; sie war leichenblaß, und Tränen rannten durch die Runzeln unter ihren Augen. »Die Drähte, Dolores, schaffen Sie die Drähte weg!« Und dann zeigte sie immer auf dieselbe Stelle - die Fußleiste in der hinteren Ecke.
Da war natürlich nichts - aber für sie war da doch etwas. Sie hatte gesehen, wie diese Drähte aus der Wand kamen und über den Fußboden auf ihr Bett zukratzten - zumindest glaube ich, daß es das war, was sie gesehen hatte. Was ich dann tat, war, nach unten zu rennen und eines der Fleischmesser von dem Gestell in der Küche zu holen und damit zurückzukommen. Ich kniete mich in der Ecke hin oder dichter am Bett, wenn sie sich so verhielt, als wären sie schon erheblich näher herangekommen und tat so, als hackte ich sie ab. Das tat ich, indem ich die Klinge ganz leicht niedersausen ließ, um die guten Ahorndielen nicht zu zerkratzen, bis sie aufhörte zu weinen.
Dann trat ich an ihr Bett und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht, entweder mit meiner Schürze oder mit einem der Kleenex-Tücher, die immer unter ihrem Kopfkissen steckten, und dann küßte ich sie ein- oder zweimal und sagte: »So, jetzt sind sie wieder fort. Ich habe jeden einzelnen dieser verdammten Drähte abgehackt. Sehen Sie selbst.«
Dann schaute sie hin (obwohl sie zu den Zeiten, von denen ich spreche, in Wirklichkeit überhaupt nichts sehen konnte), und dann weinte sie gewöhnlich noch ein bißchen weiter, und schließlich legte sie die Arme um mich und sagte: »Danke, Dolores. Diesmal war ich ganz sicher, daß sie mich erwischen würden.«
Manchmal nannte sie mich auch Brenda, wenn sie mir dankte - das war der Name der Haushälterin, die die Donovans in ihrem Haus in Baltimore hatten. Zu anderen Zeiten nannte sie mich Clarice - ihre Schwester, die 1958 gestorben war.
Manchmal kam ich auch in ihr Zimmer, und da war sie halb aus dem Bett und schrie, in ihrem Kissen wäre eine Schlange. Zu anderen Zeiten saß sie da, hatte sich die Decke über den Kopf gezogen und schrie, die Fensterscheiben verstärkten die Sonne, und die würde sie verbrennen. Manchmal behauptete sie, sie könnte schon spüren, wie sich ihr Haar kräuselte. Dabei spielte es keine Rolle, ob es draußen regnete oder nebliger war als im Kopf eines Besoffenen; nichts konnte sie davon abbringen, daß die Sonne sie bei lebendigem Leibe verbrennen würde. Also ließ ich sämtliche Jalousien runter und hielt sie in den Armen, bis sie nicht mehr weinte. Manchmal hielt ich sie auch noch länger, denn selbst nachdem sie still geworden war, konnte ich spüren, daß sie zitterte wie ein junger Hund, der von gemeinen Halbstarken verprügelt worden ist. Sie bat mich immer und immer wieder, ihre Haut anzusehen und ihr zu sagen, ob sich irgendwo Blasen gebildet hätten. Dann sagte ich ihr immer und immer wieder, daß nirgendwo Blasen zu sehen waren, und danach schlief sie manchmal ein. Zu anderen Zeiten schlief sie nicht ein, sondern verfiel in eine Art Erstarrung und redete mit Leuten, die nicht da waren. Gelegentlich sprach sie Französisch, und damit meine ich nicht dieses parley -vuu- Insel-Französisch. Sie und ihr Mann liebten Paris und waren dort, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot, manchmal mit den Kindern, manchmal ohne sie. Sie hatte mir gelegentlich davon erzählt, wenn sie in der Stimmung dazu gewesen war - von den Cafes, den Nachtclubs, den Museen und den Booten auf der Seine -, und ich habe immer gern zugehört. Vera hatte eine ganz besondere Art, mit Worten umzugehen, und wenn sie sich über so etwas ausließ, konnte man es fast sehen.
Aber das Schlimmste - und das, wovor sie sich am meisten fürchtete - waren die Staubflocken. Ihr wißt, was ich meine - diese kleinen Ballen aus Staub, die sich unter Betten und hinter Türen und in Ecken ansammeln. Sie sehen fast so aus wie die Samenstände von Gänsedisteln. Ich wußte, daß sie es waren, selbst wenn sie es nicht sagen konnte, und meistens konnte ich sie wieder beruhigen, aber weshalb sie sich dermaßen vor ein paar Häufchen Gespensterscheiße fürchtete - denn das war es, wofür sie sie hielt -, das weiß ich wirklich nicht, obwohl ich einmal einen Begriff davon bekam. Ihr braucht nicht zu lachen, er ist mir nämlich im Traum gekommen.
Glücklicherweise kam die Sache mit den Staubflocken nicht so oft vor wie die Sonne,
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