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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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das nun einmal ein Bestandteil des Verheiratetseins  - kein angenehmer Teil, zugegeben, aber schließlich ist auch das Klosettputzen kein angenehmer Bestandteil des Verheiratetseins, aber die meisten Frauen müssen es Tag für Tag tun, nachdem Brautkleid und Schleier weggepackt und auf dem Dachboden verstaut sind. Stimmt’s, Nancy? 
    Mein eigener Dad hat von Zeit zu Zeit die Hand gegen meine Mum erhoben, und ich nehme an, daher hatte ich die Idee, daß das in Ordnung war - einfach etwas, womit man sich abfinden mußte. Ich habe meinen Dad sehr geliebt, und er und sie haben sich auch sehr geliebt, aber wenn ihm etwas gegen den Strich ging, konnte er sehr ungemütlich werden.
    Ich erinnere mich an einen Abend, ich muß damals ungefähr neun Jahre alt gewesen sein, als Dad vom Mähen von George Richards Koppel drüben am West End heimkam und Mum sein Essen nicht fertig hatte. Ich weiß nicht mehr, warum das so war, aber ich erinnere mich ganz genau, was passierte, als er hereinkam. Er trug nur seinen Overall, die Arbeitsstiefel und die Socken hatte er draußen auf der Veranda ausgezogen, sie waren voller Spreu, und sein Gesicht und seine Schultern waren rot verbrannt. Das Haar war an den Schläfen angeschwitzt, und genau in der Mitte zwischen den Linien über seinen Brauen klebte ein Grashalm auf seiner Stirn. Er sah erhitzt aus und erschöpft und bereit, in der nächsten Minute in die Luft zu gehen.
    Er ging in die Küche, und da war nichts auf dem Tisch als ein Glaskrug mit Blumen darin. Er drehte sich zu Mum um und sagte: »Wo ist mein Essen, du Schlampe?« Sie machte den Mund auf, aber bevor sie etwas sagen konnte, hatte er ihr die Hand aufs Gesicht gelegt und sie in die Ecke gestoßen. Ich hatte an der Küchentür gestanden und alles mit angesehen. Er kam auf mich zu mit gesenktem Kopf, und das Haar hing ihm irgendwie ins Gesicht - immer wenn ich sehe, wie ein Mann auf diese Art nach Hause kommt, erschöpft von einem arbeitsreichen Tag und mit dem Henkelmann in der Hand, muß ich an meinen Dad denken -, und ich hatte ein bißchen Angst. Ich wollte ihm aus dem Weg gehen, weil ich fürchtete, er würde mich auch in die Ecke stoßen, aber meine Beine waren so schwer, daß ich sie nicht bewegen konnte. Aber er hat es nicht getan. Er ergriff mich nur mit seinen großen, warmen, harten Händen und stellte mich beiseite. Dann ging er hinaus und setzte sich auf den Hackklotz, mit den Händen im Schoß und hängendem Kopf, als betrachtete er sie. Zuerst verscheuchte er die Hühner, aber nach einer Weile kamen sie zurück und pickten überall um seine nackten Füße herum. Ich dachte, er würde nach ihnen treten und die Federn fliegen lassen, aber auch das hat er nicht getan.
    Nach einer Weile drehte ich mich um und sah nach meiner Mum. Sie saß immer noch in der Ecke. Sie hatte sich ein Geschirrtuch übers Gesicht gelegt und weinte darunter. Ihre Arme waren über ihrem Busen verschränkt. Das ist es, woran ich mich am besten erinnere, obwohl ich nicht weiß, warum - wie sie die Arme über dem Busen verschränkt hatte. Ich ging zu ihr und drückte sie, und sie legte mir die Arme um die Taille und drückte mich gleichfalls. Dann nahm sie das Geschirrtuch vom Gesicht und benutzte es dazu, sich die Tränen abzuwischen, und dann wies sie mich an, hinauszugehen und Daddy zu fragen, ob er ein Glas kalte Limonade wollte oder eine Flasche Bier.
    »Aber sag ihm, daß nur noch zwei Flaschen Bier da sind«, sagte sie. »Wenn er mehr will, soll er entweder zum Laden gehen oder gar nicht erst damit anfangen.«
    Ich ging raus und fragte ihn, und er sagte, er wollte kein Bier, aber ein Glas Limonade wäre genau das Richtige. Ich lief los, um es zu holen. Mum machte sein Essen fertig. Ihr Gesicht war noch verquollen vom Weinen, aber sie summte vor sich hin, und in dieser Nacht quietschten die Bettfedern wie fast jede Nacht. Über die Sache wurde kein Wort mehr verloren. Häusliche Strafe nannte man das damals, das gehörte zum Job eines Mannes, und wenn ich später überhaupt darüber nachgedacht habe, dann dachte ich nur, daß meine Mum wohl ein bißchen Strafe verdient hatte, denn sonst hätte Dad nie getan, was er getan hat. 
    Es gab noch ein paar weitere Male, bei denen er sie strafte, aber das war die Sache, an die ich mich am besten erinnere. Ich habe nie gesehen, daß er sie mit der Faust schlug, so, wie Joe mich manchmal geschlagen hat, aber einmal hat er ihr ein Stück nasses Segeltuch über die Beine gezogen, und das muß

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