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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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verdammt wehgetan haben. Sie hatte rote Striemen an den Beinen, die den ganzen Nachmittag nicht verschwanden.
    Heute nennt das kein Mensch mehr häusliche Strafe soweit ich es beurteilen kann, ist der Ausdruck völlig aus der Mode gekommen, und ich weine ihm keine Träne nach -, aber ich bin nun einmal mit der Vorstellung aufgewachsen, daß es der Job des Mannes ist, Frauen und Kinder auf den rechten Weg zurückzubringen, wenn sie von ihm abgewichen sind. Das sage ich nicht nur, weil ich mit dieser Vorstellung aufgewachsen bin - so einfach mache ich es mir nicht -, sondern ich fand das völlig in Ordnung. Ich wußte, daß von Strafe kaum jemals die Rede sein kann, wenn ein Mann seine Frau schlägt. Dennoch ließ ich sehr lange zu, daß Joe es bei mir tat. Vermutlich war ich einfach zu erschöpft vom Führen des Haus halts, vom Putzen für die Sommergäste, vom Aufziehen der Kinder und von den Versuchen, Joes Probleme mit den Nachbarn aus der Welt zu schaffen, um mir viel dabei zu denken.
    Mit Joe verheiratet zu sein - Scheiße! Wie sieht es überhaupt in Ehen aus? Vermutlich ist jede anders, aber keine ist das, was sie nach außen hin zu sein scheint, das kann ich euch versichern. Was die Leute vom Eheleben mitbekommen und was drinnen vorgeht, sind gewöhnlich zwei ganz verschiedene Dinge. Manchmal ist das grauenhaft, und manchmal ist es komisch, aber gewöhnlich ist es - wie alles, was zum Leben gehört beides gleichzeitig.
    Die Leute glaubten, daß Joe ein Alkoholiker war, der mich  - und vermutlich auch die Kinder - schlug, wenn er betrunken war. Sie glaubten, er hätte es schließlich einmal zu oft getan, und deshalb hätte ich seine Fahrkarte gelocht. Es stimmt, daß Joe trank und daß er gelegentlich zu Treffen der Anonymen Alkoholiker nach Jonesport hinüberfuhr, aber er war ebensowenig ein Alkoholiker, wie ich es bin. Er hat sich alle vier oder fünf Monate einmal vollaufen lassen, gewöhnlich mit Gesindel wie Gerry Thibodeau oder Stevie Brooks - die beiden waren wirklich Alkoholiker -, aber dann ließ er es wieder, abgesehen von ein paar Schlucken, wenn er abends nach Hause kam. Nicht mehr als das, denn wenn er eine Flasche hatte, dann sorgte er dafür, daß sie eine Weile vorhielt. Von den richtigen Säufern, die mir in meinem Leben begegnet sind, hatte keiner auch nur das geringste Interesse daran, daß eine Flasche eine Weile vorhielt - weder Jim Beam, noch Old Duke, und nicht einmal Entgleiser, das ist durch ein Tuch gefiltertes Frostschutzmittel. Ein echter Säufer hat nur zweierlei im Sinne: die Flasche in seiner Hand zu leeren und sich dann auf die Suche nach der nächsten zu machen.
    Nein, er war kein Alkoholiker, aber er hatte nichts dagegen, wenn die Leute glaubten, er wäre einer gewesen. Es half ihm Arbeit zu bekommen, vor allem im Sommer. Ich nehme an, die Art der Leute, über die Anonymen Alkoholiker zu reden, hat sich im Laufe der Zeit geändert - ich weiß, daß heute viel mehr über sie geredet wird als früher -, aber etwas hat sich nicht geändert: daß die Leute nach wie vor versuchen, jemandem zu helfen, der behauptet, er wäre dabei, sich selbst zu helfen. Joe brachte es fertig, ein ganzes Jahr nicht zu trinken - oder zumindest nicht darüber zu reden, wenn er es tat -, und sie haben drüben in Jonesport eine Party für ihn veranstaltet. Er bekam eine Torte und eine Medaille. Und wenn er sich um einen Job bewarb, den einer der Sommergäste erledigt haben wollte, dann war das erste, was er ihnen erzählte, daß er ein Alkoholiker auf dem Wege der Besserung war. »Wenn Sie mich deswegen nicht nehmen wollen, kann ich es Ihnen nicht verdenken«, pflegte er zu sagen, »aber ich muß es mir von der Seele reden. Ich habe jetzt seit über einem Jahr Treffen der A. A. besucht, und da haben sie uns gesagt, wenn wir nicht ehrlich sein können, können wir auch nicht nüchtern bleiben.«
    Und dann zog er seine goldene Ein-Jahr-Medaille aus der Tasche und zeigte sie vor, und dabei schaute er drein wie jemand, der ständig am Hungertuch nagt. Ich nehme an, einige von den Leuten hätten fast geweint, wenn Joe ihnen erzählte, wie er einen Tag nach dem anderen hinter sich brachte, es leicht nahm und nicht nachgab und auf Gott vertraute, wenn ihn das Verlangen nach einem Drink überfiel - was, wie er behauptete, so ungefähr jede Viertelstunde vorkam. Danach konnten sie ihn gewöhnlich gar nicht schnell genug anheuern, und das nicht selten zu fünfzig Cents oder einem Dollar mehr pro Stunde, als sie

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