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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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anzuschauen. Und was ich sah, beunruhigte mich noch mehr.
    Zum Beispiel, wie sie ihre Kleidung verändert hatte. Sie hatte nicht nur einen Pullover gegen einen anderen ausgetauscht oder einen Rock gegen ein Kleid; ihre ganze Art, sich zu kleiden, war anders geworden, und all diese Veränderungen waren schlecht. So konnte man zum Beispiel ihre Figur nicht mehr erkennen. Anstatt in Hosen oder Kleidern zur Schule zu gehen, trug sie meistens Trägerröcke, die wie ein Zelt aussahen und ihr viel zu groß waren. Sie ließen sie dick aussehen, und das war sie nicht.
    Zuhause trug sie sackartige Pullover, die ihr fast bis zu den Knien reichten, und ich sah sie nie ohne Jeans und Arbeitsstiefel. Wann immer sie ausging, band sie sich einen häßlichen Fetzen von Kopftuch um, der so groß war, daß er ihr bis tief in die Stirn reichte und ihre Augen aussehen ließ wie zwei Tiere, die aus einer Höhle herauslugen. Sie sah aus wie ein Gassenjunge; ich hatte gedacht, damit wäre endgültig Schluß gewesen, als sie dreizehn geworden war. Und eines Abends, als ich vergessen hatte anzuklopfen, bevor ich in ihr Zimmer kam, hätte sie sich fast die Beine gebrochen, um an ihren Bademantel zu kommen, der an der Schranktür hing; und dabei hatte sie einen Unterrock an - sie stand schließlich nicht splitterfasernackt da.
    Aber das Schlimmste war, daß sie kaum noch redete. Nicht nur mit mir; so, wie wir damals zueinander standen, hätte ich das verstehen können. Aber sie hatte praktisch aufgehört, mit irgendjemandem zu reden. Sie saß am Abendbrottisch mit gesenktem Kopf, und die langen Strähnen, die sie sich hatte wachsen lassen, hingen ihr ins Gesicht, und wenn ich versuchte, mich mit ihr zu unterhalten, wenn ich sie fragte, wie es in der Schule gewesen war oder dergleichen, dann war alles, was ich zu hören bekam, »Okay« oder »Kann sein«, während sie früher immer geredet hatte wie ein Wasserfall. Joe Junior versuchte es auch und rannte gegen die gleiche Mauer an. Ein- oder zweimal sah er mich an, offensichtlich verblüfft.  Ich zuckte nur die Achseln. Und sobald wir gegessen hatten und das Geschirr abgewaschen war, verschwand sie zur Tür hinaus oder in ihr Zimmer.
    Und, Gott helfe mir, das erste, an das ich dachte, nachdem ich sicher war, daß es sich nicht um einen Jungen handelte, war Marihuana - sieh mich gefälligst nicht so an, Andy, als wüßte ich nicht, wovon ich rede. Damals nannte man es noch nicht Pot, sondern Reefer oder Maryjane, aber es war dasselbe Zeug, und auf der Insel gab es massenhaft Leute, die bereit waren, es an den Mann zu bringen, wenn die Hummerpreise fielen und sogar auch, wenn sie es nicht taten. Damals wanderte eine Menge Reefer über die Inseln vor der Küste, genau wie heute noch, und ein Teil davon blieb hängen. Es gab kein Kokain, was ein Segen war, aber wenn man Pot rauchen wollte, gab es keine Probleme. In eben diesem Sommer war Marky Benoit von der Küstenwache festgenommen worden - sie hatten vier Ballen von dem Zeug im Laderaum der Maggie’s Delight gefunden. Wahrscheinlich war es das, was mich auf diese Idee brachte, aber selbst heute noch, nach so vielen Jahren, frage ich mich, wie ich es fertiggebracht habe, etwas derart Kompliziertes aus einer Sache zu machen, die im Grunde so simpel war. Da war das wahre Problem, es saß mir jeden Abend am Tisch gegenüber, hatte es gewöhnlich dringend nötig, zu baden und sich zu rasieren, und da war ich und hatte es direkt vor Augen - Joe St. George, Little Tall Islands größten Hans Dampf in allen Gassen und Meister in keiner - und fragte mich, ob mein braves Mädchen vielleicht nachmittags hinter dem Holzschuppen der High School hockte und Pot rauchte. Und dabei bin ich es, die immer behauptet, ihre Mutter hätte keine Schwachköpfe großgezogen!
    Ich dachte daran, in ihr Zimmer zu gehen und ihren Schrank und ihre Kommodenschubladen zu durchsuchen, aber ich ließ es dann doch bleiben, weil es mir gegen den Strich ging. Ich mag alles mögliche sein, Andy, aber eine Schnüffelnase bin ich nie gewesen. Aber schon daß mir dieser Gedanke gekommen war, ließ mich erkennen, daß ich viel zu viel Zeit damit verschwendet hatte, um den Rand dessen herumzuschleichen, was da vorging, in der Hoffnung, daß das Problem sich von selbst lösen oder Selena von sich aus zu mir kommen würde.
    Dann kam ein Tag - nicht lange vor Halloween, ich weiß noch, daß Little Pete vor dem Türfenster eine Papierhexe aufgehängt hatte -, an dem ich nach dem Mittagessen

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