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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die Zeit sich Zeit ließ, wie sie bei seinen Treffen der Anonymen Alkoholiker immer sagten. Ich kann euch gar nicht sagen, wie oft ich nach dem verdammten Sparbuch gesucht habe, das er bekommen haben mußte, als er mit dieser Kohle sein eigenes Konto eröffnete; aber ich habe es nie gefunden. Und so konnte ich nichts anderes tun, als aufpassen, ob er nicht eines Tages mit einer neuen Kettensäge nach Hause kam oder einer teuren Uhr am Handgelenk, und hoffen, daß er nicht schon einen Teil davon oder alles bei Pokerpartien um hohe Einsätze verloren hatte, von denen er behauptete, daß sie jedes Wochenende in Ellsworth und Bangor stattfänden. Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich mir so hilflos vorgekommen.
    Und dann war da die Frage, wann und wie ich es tun würde - das heißt, falls ich den Mumm aufbrachte, es überhaupt zu tun. Die Idee, den alten Brunnen als Fallgrube zu benutzen, war schon in Ordnung, soweit sie ging; das Problem war nur, daß sie entschieden nicht weit genug ging. Wenn er fein sauber und ordentlich starb, wie die Leute im Fernsehen, dann wäre alles in bester Ordnung. Aber sogar vor dreißig Jahren hatte ich schon genug vom Leben gesehen, um zu wissen, daß die Dinge nie so ablaufen wie im Fernsehen.
    Angenommen, er fiel hinein und fing an zu schreien, zum Beispiel? Die Insel war damals noch nicht so zugebaut, wie sie es heute ist, aber wir hatten trotzdem drei Nachbarn an diesem Stück der Hast Lane - die Carons, die Langills und die Jolanders. Es konnte sein, daß sie die Schreie, die aus dem Brombeergestrüpp hinter unserem Haus kamen, nicht hörten, aber andererseits konnte es auch sein, daß sie sie hörten, zumal wenn der Wind kräftig war und aus der richtigen Richtung wehte. Und das war noch nicht alles. Auf der East Lane, die, wie ihr ja wißt, vom Dorf zum Hemd verläuft, herrschte ziemlich viel Verkehr. Ständig fuhren irgendwelche Laster oder Personenwagen an unserem Haus vorbei, nicht so viele wie heute, aber doch schon genug, um einer Frau zu denken zu geben, die an das dachte, woran ich dachte.
    Ich war fast zu dem Schluß gekommen, daß der Brunnen doch nicht das geeignete Instrument war, um ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen, daß es einfach zu riskant war, als die Antwort kam. Diesmal war es Vera, die sie mir lieferte, aber ich glaube nicht, daß sie es wußte. Sie war nämlich fasziniert von der Sonnenfinsternis. Als dieser Winter sich seinem Ende zuneigte, hing an der Korktafel in der Küche fast jede Woche ein neuer Zeitungsausschnitt, und als das Frühjahr mit den üblichen Stürmen und kalten Schauern begann, wurden es von Tag zu Tag mehr. Es waren Ausschnitte aus den Zeitungen der Umgebung, aus großen Zeitungen wie dem Globe und der New York Times und aus Zeitschriften wie dem Scientific American.
    Sie war begeistert, weil sie ganz sicher war, daß die Sonnenfinsternis Donald und Helga endlich wieder nach Pinewood locken würde - das erzählte sie mir immer und immer wieder -, aber sie war auch von der Sache selbst begeistert. Von Mitte Mai an, als es endlich warm zu werden begann, verbrachte sie mehr Zeit auf der Insel als in Baltimore, und diese verdammte Sonnenfinsternis war so ziemlich das einzige, wovon sie redete. Sie hatte vier Kameras im Schrank in der Diele - und zwar keine billigen Boxen -, von denen drei bereits auf ein Stativ montiert waren. Sie hatte acht oder neun spezielle Sonnenbrillen, eigens für sie angefertigte offene Kästen, die sie »Finsternisbetrachter« nannte, Periskope mit besonders getönten Spiegeln darin und ich weiß nicht, was sonst noch.
    Dann, gegen Ende Mai, kam ich ins Haus und sah, daß der Ausschnitt an der Korktafel aus unserer eigenen kleinen Zeitung, der Weekly Tide, stammte. Harborside wird »Finsternis-Zzentrum« für Einheimische und Sommergäste. Das Foto zeigte Jimmy Gagnon und Harley Fox bei irgendwelchen Zimmererarbeiten auf dem Dach des Hotels, das schon damals so flach und breit war, wie es heute noch ist. Und wißt ihr was? Ich spürte, wie sich wieder etwas in mir umdrehte, genau wie damals, als der erste Artikel über die Sonnenfinsternis an derselben Stelle an der Tafel hing.
    In dem Artikel hieß es, daß die Besitzer des Harborside Hotels vorhatten, das Dach am Tag der Sonnenfinsternis zu einer Art Freiluft-Observatorium zu machen - nur daß es sich für mich so anhörte, als wäre es dasselbe wie immer, nur mit einem brandneuen Etikett. Sie behaupteten, das Dach würde eigens für diesen Anlaß

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