Dom Casmurro
für Mädchen. Capitu verriet mir einmal, dass genau das ihren Wunsch, es zu lernen, angestachelt habe. Ersatzweise wollte sie dann Englisch lernen, mit einem alten Lehrer, Freund und Solo-Partner ihres Vaters, aber sie kam nicht allzu weit.
Onkel Cosme brachte ihr das Tricktrack-Spielen bei. «Los, Capitu, ich will ein Spielchen gegen dich gewinnen», sagte er zu ihr. Capitu gehorchte und spielte geschickt, aufmerksam, fast möchte ich sagen mit Liebe.
Eines Tages überraschte ich sie dabei, wie sie eine Bleistiftzeichnung anfertigte. Sie führte gerade die letzten Striche aus und bat mich zu warten, um anschließend die Ähnlichkeit zu beurteilen. Es war mein Vater, den sie von dem Bild abgemalt hatte, das bei meiner Mutter im Wohnzimmer hing und das heute noch in meinem Besitz ist. Ein Meisterwerk war es gewiss nicht, im Gegenteil: Die Augen standen etwas vor, und die Haare waren nichts weiter als kleine, übereinandergemalte Kringel. Doch angesichts der Tatsache, dass sie über keinerlei Grundkenntnisse der Kunst verfügte und alles in wenigen Minuten aus der Erinnerung gezeichnet hatte, fand ich, dass es eine bemerkenswerte Arbeit war. Der Leser möge mir mein Alter und meine Zuneigung in Rechnung stellen! Dennoch bin ich mir sicher, dass sie die Malerei mit Leichtigkeit erlernt hätte, so wie später auch die Musik. Schon damals liebte sie unser Klavier, ein altes, nicht zu gebrauchendes Stück, das lediglich Liebhaberwert hatte. Sie las unsere Romane, blätterte die Bücher mit den alten Stichen durch, wollte alles über die früheren Bauten, die Menschen, die Feldzüge wissen, Namen, die Geschichte, Orte. José Dias gab ihr mit dem leisen Stolz des Gebildeten Auskunft. Doch sein Wissen war nicht viel fundierter als das über die Homöopathie, damals auf der Fazenda Cantagalo.
Einmal wollte Capitu wissen, wer die Figuren im Wohnzimmer seien. Unser Hausfreund erläuterte sie ihr kurz, wobei er sich bei Cäsar etwas länger aufhielt und auf Lateinisch ausrief: «Cäsar! Julius Cäsar! Ein großer Mann! Tu quoque, Brute? 26 »
Capitu fand Cäsars Profil zwar nicht hübsch, doch die von José Dias aufgeführten Taten erregten ihre Bewunderung. Sie betrachtete ihn ausgiebig. Ein Mann, der alles konnte! Der alles machte! Ein Mann, der einer Dame eine Perle im Wert von sechs Millionen Sesterzen 27 geschenkt hatte!
«Und wie viel war damals ein Sesterz wert?»
José Dias, dem der Wert des Sesterzes nicht geläufig war, antwortete ihr begeistert: «Er ist der größte Mann der Geschichte!»
Cäsars Perle entflammte Capitus Blick. Bei dieser Gelegenheit fragte sie auch meine Mutter, warum sie die Perlen von dem Gemälde nicht mehr trug; gemeint war das im Wohnzimmer, neben dem meines Vaters. Darauf trug sie nämlich eine große Perlenkette, ein Diadem und Ohrringe.
«Die Perlen sind mit mir verwitwet, Capitu.»
«Wann haben Sie die Perlen getragen?»
«Zu den Krönungsfeierlichkeiten.»
«Oh! Erzählen Sie mir von den Krönungsfeierlichkeiten!»
Capitu wusste bereits das, was ihre Eltern ihr erzählt hatten. Aber natürlich war ihr klar, dass diese nur das wissen konnten, was sich auf den Straßen abgespielt hatte. Sie aber wollte hören, was sich auf den Tribünen der Kaiserlichen Kapelle und in den Ballsälen ereignet hatte. Capitu war weit nach diesen berühmten Festivitäten geboren. Da sie jedoch bereits mehrmals von der Volljährigkeitserklärung 28 hatte reden hören, bestand sie eines Tages darauf zu erfahren, was es damit auf sich hatte. Man erklärte es ihr, und sie fand, der Kaiser habe sehr gut daran getan, mit fünfzehn Jahren den Thron zu beanspruchen. Alles wurde zum Stoff für Capitus Neugier, alte Möbel, antiker Schmuck, Gebräuche, Neuigkeiten aus Itaguaí, die Kindheit und Jugend meiner Mutter, ein Wort hier, eine Erinnerung dort, ein Sprichwort von frühe r …
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Augen wie das wogende Meer
Alles wurde zum Stoff für Capitus Neugier. Eine Situation gab es indes, bei der ich mir nicht sicher bin, ob sie darin eher lernte oder lehrte oder beides, wie ich. Darüber werde ich in einem anderen Kapitel berichten. In diesem hier werde ich lediglich erzählen, dass ich ein paar Tage nach der Abmachung mit dem Hausfreund meine Freundin besuchen ging. Es war zehn Uhr vormittags. Dona Fortunata war im Hof und wartete gar nicht erst ab, dass ich sie nach ihrer Tochter fragte: «Sie ist im Wohnzimmer und kämmt sich die Haare», sagte sie. «Schleich dich hinein und erschrecke sie.»
Ich trat
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