Dom Casmurro
Anflug von Befangenheit, kein verlegenes Zusammenzucken, sondern ein spontanes, offenes Lachen, das sie mit diesen fröhlichen Worten erklärte: «Mama, sieh nur, wie dieser Herr Friseur mich zugerichtet hat! Er hat mich gebeten, die Frisur fertig machen zu dürfen, und das kam dabei heraus. Sieh dir nur diese Zöpfe an!»
«Was ist denn damit?», verteidigte mich ihre Mutter, voll des Wohlwollens. «Sie sind doch sehr gut geworden, niemand wird sagen, dass sie jemand geflochten hat, der nichts vom Kämmen versteht.»
«Das findest du gut?», erwiderte Capitu und löste ihre Zöpfe. «Also Mama!»
Und mit dieser komischen, gespielten Empörung, die sie manchmal an den Tag legte, nahm sie den Kamm und glättete ihre Haare, um die Frisur zu erneuern. Dona Fortunata nannte sie «Dummerchen» und sagte zu mir, ich solle mir nichts daraus machen, das seien nur die Spinnereien ihrer Tochter. Sie sah uns beide zärtlich an. Doch dann schien sie irgendwie Verdacht zu schöpfen. Da ich so still war und mich an die Wand drückte, dachte sie wohl, es sei mehr zwischen uns gewesen als nur das Frisieren. Sie lächelte hintergründi g …
Da ich ebenfalls etwas sagen wollte, um meinen verwirrten Zustand zu überspielen, rief ich innerlich ein paar Worte auf, die mir aber derart überstürzt den Mund stopften, dass keines davon herauskam. Capitus Kuss verschloss mir die Lippen. So sehr sie auch kämpften, kein Ausruf, keine einzige Silbe brach sich Bahn. Dann versammelten sich all diese Worte in meinem Herzen und murmelten: «Seht euch den an, der wird keine Karriere machen in dieser Welt, solange er sich dermaßen von seinen Gefühlen beherrschen läss t …»
Als ihre Mutter uns ertappte, stellten wir einen großen Gegensatz dar: Während Capitu etwas mit Worten verdeckte, gab ich es durch mein Schweigen preis. Dona Fortunata erlöste mich aus dieser Klemme, indem sie sagte, dass meine Mutter mich zur Lateinstunde rufe. Pater Cabral warte bereits auf mich. Das war ein Ausweg. Ich verabschiedete mich und verschwand im Flur. Im Weggehen hörte ich noch, wie die Mutter die Tochter wegen ihres Benehmens tadelte, doch die Tochter erwiderte nichts darauf.
Ich rannte in mein Zimmer, schnappte mir meine Bücher, ging aber nicht gleich zum Unterricht, sondern setzte mich aufs Bett und ließ das Kämmen und auch das Übrige noch einmal Revue passieren. Ich erzitterte und verlor kurzzeitig das Bewusstsein für mich selbst und die Dinge um mich herum. Ich tauchte ein in eine ganz andere Welt. Dann kam ich wieder zu mir, sah das Bett, die Wände, die Bücher, den Boden, hörte ein Geräusch von draußen, unbestimmt, nicht nah, nicht fern, und verlor mich wieder, um nur noch Capitus Lippen zu spüre n … Ich spürte, wie sie sich unter den meinen spitzten, die sich ebenfalls den ihren entgegenstreckten und sich mit ihnen vereinten. Auf einmal entfuhr meinem Mund, ungewollt und unbedacht, dieser stolze Satz: «Ich bin ein Mann!»
Ich fürchtete, man habe mich gehört, da ich laut gesprochen hatte. Also lief ich zur Tür und spähte hinaus. Draußen war niemand. Ich schloss die Tür wieder und wiederholte leise, dass ich ein Mann sei. Sogar jetzt noch habe ich das Echo dieser Worte im Ohr. Sie erfüllten mich mit ungeheurer Wonne. Kolumbus’ Freude, als er Amerika entdeckte, dürfte nicht weniger groß gewesen sein; man verzeihe mir den für diese banale Situation unangemessenen Vergleich, aber in jedem Heranwachsenden schlummert schließlich eine unbekannte Welt, ein Eroberer und eine Oktobersonne. Später im Leben habe ich weitere Entdeckungen gemacht, doch keine hat mich je so beeindruckt. José Dias’ Eröffnung hat mich aufgewühlt, die Lektion des alten Kokosverkäufers ebenfalls, der Anblick unserer beiden von Capitu in die Gartenmauer geritzten Namen berührte mich tief, wie ihr gesehen habt; doch nichts löste solche Gefühle in mir aus wie der Kuss. Vielleicht waren sie ja alle nur Lüge und Illusion. Waren sie jedoch wahr, dann waren sie der Kern der Wahrheit und nicht nur ihre äußere Hülle. Nicht einmal ein Händedruck, und war er auch noch so innig, konnte das alles sagen.
«Ich bin ein Mann!»
Als ich dies zum dritten Mal wiederholte, dachte ich an das Seminar, aber so, wie man an eine überwundene Gefahr denkt, an ein abgewendetes Übel, an einen vergessenen Albtraum: Meine sämtlichen Nervenfasern sagten mir, dass Männer keine Priester sein könnten. Mein Blut war derselben Meinung. Ich spürte erneut Capitus
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