Dom Casmurro
sie dies wünsche.
«Du?»
«Ja, ich.»
«Du bringst mir die Haare doch nur durcheinander.»
«Wenn ich sie dir durcheinanderbringe, entwirrst du sie eben hinterher wieder.»
«Na schön, dann wollen wir mal sehen.»
33
Die Frisur
Capitu wandte mir den Rücken zu und drehte sich zum Spiegel. Ich nahm ihre Haare, hob sie allesamt hoch und begann, sie mit dem Kamm zu glätten, von der Stirn bis in die äußersten Spitzen, die ihr über die Taille fielen. Im Stehen klappte das nicht: Vergesst nicht, liebe Leser, dass sie ein kleines bisschen größer war als ich, doch selbst wenn sie gleich groß gewesen wäre, hätte es nicht geklappt. Ich bat sie, sich zu setzen.
«Setz dich hier hin, das ist besser.»
Sie setzte sich. «Jetzt erleben wir also den großen Friseur», sagte sie lachend. Ich fuhr fort, ganz vorsichtig ihre Haare zu glätten, und teilte sie in zwei gleich große Strähnen, um ihr die Zöpfe zu flechten. Das tat ich indes nicht sofort und auch keineswegs schnell, sondern, wie alle Berufsfriseure sich vorstellen können, langsam, ganz langsam, die Berührung ihres kräftigen Haares auskostend. Das Flechten verlief nicht ganz reibungslos, was teils an meiner Unaufmerksamkeit lag, teils daran, dass ich absichtlich alles wieder zerstörte und von vorn begann. Meine Finger strichen über den Nacken und die von dem Kattunkleid bedeckten Schultern des Mädchens, und dieses Gefühl war überaus köstlich. Doch irgendwann gelangte ich an die Spitzen, so sehr ich mir auch wünschte, ihre Haare wären unendlich. Ich bat nicht den Himmel, sie so lang zu machen wie die Auroras 29 , da ich diese Göttin, die mir die alten Dichter später vorstellten, damals noch nicht kannte. Aber ich wünschte mir, sie jahrhundertelang zu frisieren und zu zwei Zöpfen zu flechten, mit denen ich unzählige Male hätte die Ewigkeit umschlingen können. Falls dir armem Leser dies zu gefühlvoll erscheint, dann hast du niemals ein Mädchen gekämmt, niemals deine jugendlichen Hände auf den jungen Kopf einer Nymphe geleg t … Einer Nymphe! Ich bestehe nur aus Mythologie. Als ich vorher über ihre Augen schrieb, die wie das wogende Meer seien, hatte ich bereits den Namen Thetis 30 zu Papier gebracht, ihn dann aber wieder durchgestrichen. Streichen wir nun also auch die Nymphe wieder durch und sprechen wir einfach von einem geliebten Wesen, denn das ist ein Wort, das alle christlichen und heidnischen Werte beinhaltet. Nun, die Zöpfe waren fertig. Aber wo war das Band, um sie an den Spitzen zusammenzubinden? Auf dem Tisch lag es, ein trauriges, zerknittertes Band. Ich nahm die beiden Zopfenden, band eine Schleife darum, lockerte zum Abschluss noch etwas hier, straffte dort und rief schließlich aus: «Fertig!»
«Ob das wohl etwas taugt?»
«Schau in den Spiegel.»
Doch statt zum Spiegel zu gehen, was glaubt ihr, was Capitu tat? Vergesst nicht, dass sie saß, und zwar mit dem Rücken zu mir. Capitu beugte ihren Kopf nach hinten, so weit, dass ich sie mit meinen Händen abstützen musste, weil die Stuhllehne so niedrig war. Ich beugte mich über sie, unsere Gesichter lagen übereinander, nur umgekehrt, die Augen des einen jeweils auf Höhe des Mundes des anderen. Ich bat sie, den Kopf wieder zu heben, weil ihr schwindlig werden und sie sich den Hals verrenken könnte. Ich sagte ihr sogar, dass das hässlich aussehe, doch nicht einmal das zeigte Wirkung.
«Steh auf, Capitu!»
Sie wollte nicht, hob nicht den Kopf, und so verharrten wir, einander anblickend, bis sie auf einmal ihre Lippen spitzte und ich die meinen herabsenkte, un d …
Das großartige Gefühl eines Kusses. Danach sprang Capitu unvermittelt auf, mir wurde schwarz vor Augen, ich wich zurück an die Wand, wortlos, schwindelnd. Als ich wieder sehen konnte, entdeckte ich, dass Capitu den Blick gesenkt hatte. Ich wagte nichts zu sagen, doch selbst wenn ich es gewollt hätte, hätten mir gewiss die Worte gefehlt. Befangen und betäubt fand ich keine Möglichkeit und nicht die Kraft, mich von der Wand zu lösen und mich mit tausend warmen und zärtlichen Worten auf sie zu stürze n … Spotte nicht über meine fünfzehn Jahre, frühreifer Leser. Mit siebzehn dachte des Grieux 31 (selbst ein des Grieux!) noch nicht an die unterschiedlichen Geschlechter.
34
Ich bin ein Mann!
Wir hörten Schritte im Flur. Es war Dona Fortunata. Capitu fasste sich schnell wieder, so schnell, dass sie, als ihre Mutter an der Tür erschien, bereits den Kopf schüttelte und lachte. Kein
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