Dom Casmurro
verspürt, kann am Ende auch ein guter Priester werden; alles hängt von Gottes Wille ab. Ich will mich nicht zum Beispiel machen, aber ich wurde mit einer Berufung zur Medizin geboren. Mein Taufpate, der Koadjutor von Santa Rita war, setzte bei meinem Vater durch, dass er mich ins Priesterseminar schickte. Dann habe ich so großen Gefallen am Studium und an der Gesellschaft der Patres gefunden, dass ich mich zum Priester weihen ließ. Aber nehmen wir mal an, das wäre nicht passiert und meine Berufung hätte sich nicht geändert, was wäre dann gewesen? Ich hätte im Seminar einfach nur ein paar wissenswerte Fächer studiert, die dort sowieso besser gelehrt werden.»
Base Justina fragte nach: «Wie bitte? Dann kann man also ins Priesterseminar eintreten und gar nicht Priester werden?»
Pater Cabral bestätigte dies, wandte sich dann mir zu und sprach von meiner Berufung, die ja so offensichtlich sei: Meine Spielsachen seien immer kirchlicher Art gewesen, und die Gottesdienste hätte ich auch immer geliebt. Das war allerdings kein schlüssiger Beweis, denn zu meiner Zeit waren alle Kinder fromm. Cabral fügte noch hinzu, der Rektor des Priesterseminars São José, dem er vom Gelübde meiner Mutter erzählt habe, halte meine Geburt für ein Wunder, und er selbst sei derselben Ansicht. Capitu, die am Rockzipfel meiner Mutter hing, erwiderte nicht die sehnsüchtigen Blicke, die ich ihr zuwarf. Sie schien der Unterhaltung über das Seminar und das, was daraus erwuchs, nicht einmal zu folgen, und doch behielt sie alles Wichtige im Kopf, wie ich hinterher erfuhr. Zweimal trat ich ans Fenster, in der Hoffnung, sie würde mir folgen, damit wir dort unsere Ruhe hätten, bis die Welt unterginge, sofern sie denn unterginge. Doch Capitu kam nicht. Sie wich meiner Mutter nicht von der Seite, bis sie sich, als es Zeit für das Ave-Maria war, verabschiedete.
«Begleite sie, Bentinho», sagte meine Mutter.
«Das ist nicht nötig, Dona Glória», erwiderte Capitu lachend. «Ich kenne den Weg. Auf Wiedersehen, Herr Protonotar.»
«Auf Wiedersehen, Capitu.»
Ich war bereits auf dem Sprung, das Wohnzimmer zu durchqueren, denn natürlich hielt ich es für meine Pflicht und wünschte mir mit all meiner jugendlichen Sehnsucht, mit der Nachbarin auf den Flur, in unseren Garten und in ihren Hof zu gehen und mich dort mit einem dritten Kuss zu verabschieden. Ihre Zurückweisung war mir gleichgültig, hielt ich sie doch für gespielt. Ich folgte also der vorauseilenden Capitu in den Korridor. Sie aber blieb stehen und bedeutete mir, ins Wohnzimmer zurückzukehren. Ich gehorchte ihr nicht, sondern trat auf sie zu.
«Bleib hier. Wir reden morgen.»
«Aber ich wollte dir doch nur sage n …»
«Morgen!»
«Warte!»
«Bleib!»
Sie sprach leise, nahm meine Hand und legte gleichzeitig einen Finger auf ihre Lippen. Eine Schwarze, die den Öllampion anzünden wollte und uns in dieser Situation im fast dunklen Korridor entdeckte, lachte freundlich und murmelte etwas vor sich hin, das ich nur halb verstand. Capitu flüsterte mir ins Ohr, dass die Sklavin misstrauisch geworden sei und es vielleicht den anderen erzählen würde. Sie beschwor mich erneut, zu bleiben, und verschwand. Ich blieb wie angenagelt oder angewurzelt stehen.
40
Eine Stute
Als ich allein war, überließ ich mich eine Weile meinen Gedanken und Fantasien. Meine Fantasien kennt ihr ja bereits. Ich habe euch die vom Besuch des Kaisers erzählt und auch jene, das Haus in der Rua de Matacavalos in Engenho Novo nachzubilde n … Die Fantasie hat mich mein Leben lang begleitet, lebendig, schnell, unruhig, manchmal auch scheu und bockig, meist jedoch bereit, weite Strecken im Galopp zurückzulegen. Ich glaube, einmal bei Tacitus gelesen zu haben, dass die iberischen Stuten vom Wind geschwängert wurden; falls es nicht bei ihm war, dann war es bei einem anderen Schriftsteller der Antike, der es verstand, jenen alten Glauben in seinen Büchern zu bewahren. In dieser Hinsicht war meine Fantasie eine große iberische Stute; der geringste Windhauch ließ sie ein Fohlen gebären, das sich schnell zum Pferde Alexanders des Großen entwickelte. Doch lassen wir diese gewagten, für einen Fünfzehnjährigen unangebrachten Metaphern. Sagen wir einfach, was für eine Fantasie es war. Diesmal stellte ich mir vor, wie ich meiner Mutter meine Liebe zu Capitu eingestehen und ihr sagen würde, dass ich keine Berufung zum Geistlichen verspürte. Das Gespräch über die Berufung hatte mich sehr
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