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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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Grund dafür und erzählte, dass Pater Cabral über meinen Eintritt ins Priesterseminar geredet und den Entschluss meiner Mutter unterstützt habe. Ich sprach sehr harte, unschöne Worte über ihn. Capitu dachte einen Augenblick nach und fragte schließlich, ob sie den Pfarrer am Abend bei uns beglückwünschen dürfe.
    «Natürlich, aber warum?»
    «Papa wird ihm bestimmt auch gratulieren wollen, aber er geht besser zu ihm nach Hause, das ist angemessener. Für mich ist das nicht schicklich, schließlich bin ja schon fast eine junge Dame», sagte sie lachend.
    Ihr Lachen ermutigte mich. Die Worte schienen voller Selbstironie zu sein, zumal sie ja seit dem Morgen eine Frau war, so wie ich ein Mann. Ich fand sie reizend, und um dies auszudrücken, wollte ich ihr beweisen, dass sie bereits eine ganze Frau war. Ich fasste sie vorsichtig an der rechten Hand und dann an der linken und verharrte anschließend zitternd und gelähmt. Das war die Idee mit den Händen. Ich wollte an Capitus Händen ziehen, wollte Capitu zwingen, ihnen zu folgen, doch auch diesmal entsprach das Vorgehen nicht der Absicht. Trotzdem hielt ich mich für stark und wagemutig. Ich ahmte niemanden nach, denn schließlich pflegte ich gar keinen Umgang mit Jungen, die mir Geschichten über die Liebe beibrachten. Und die von Lucretias Vergewaltigung 32 kannte ich noch nicht. Über die Römer wusste ich nur das, was in Padre Pereiras 33 Lateinbuch stand, und dass es Landsleute von Pontius Pilatus waren. Ich bestreite nicht, dass das vormittägliche Frisieren ein großer Schritt in Richtung Liebe gewesen war, allerdings hatte Capitu sich dabei vollkommen anders verhalten. Am Vormittag hatte sie mir ihren Kopf entgegengestreckt, nun entzog sie sich mir. Und die Ereignisse unterschieden sich nicht nur darin, sondern auch in einem anderen Punkt, in dem es eine Wiederholung zu geben schien.
    Ich glaube, ich machte Anstalten, sie an mich zu ziehen. Beschwören kann ich es nicht, weil ich so durcheinander war, dass ich nicht mehr genau wusste, was ich tat, aber ich glaube, ja, denn sie wich zurück und versuchte, mir ihre Hände zu entwinden. Als sie so weit wie möglich zurückgewichen war, stellte sie einen Fuß vor den anderen und warf den Oberkörper nach hinten. Diese Bewegung zwang mich, ihre Hände noch fester zu umklammern. Ihr Oberkörper ermüdete indes bald und gab nach, doch ihr nach hinten hängender Kopf wollte nicht nachgeben und vereitelte all mein Bemühen; denn inzwischen strengte ich mich tatsächlich an, lieber Leser. Da ich die Lehren des Hoheliedes nicht kannte, kam ich nicht auf die Idee, die linke Hand loszulassen und ihr unter den Kopf zu fassen. Diese Handlung hätte zudem ein gegenseitiges Einverständnis vorausgesetzt, schließlich hätte die sich sträubende Capitu diese Bewegung bestimmt ausgenutzt, um auch die andere Hand loszureißen und mir gänzlich zu entwischen. Wir fochten diesen Kampf lautlos aus; sowohl Angreifer wie Verteidiger ließen die nötige Umsicht walten, um im Inneren des Hauses nicht gehört zu werden. Die Seele ist voller Geheimnisse. Jetzt weiß ich, dass ich sie an mich zog, aber ihr Kopf widersetzte sich weiterhin, bis er müde wurde. Daraufhin versuchte ich es mit dem Mund. Doch Capitus Mund strebte stets in die Gegenrichtung; suchte ich ihn auf der einen Seite, entwischte er auf die andere. So ging das eine Weile, ohne dass ich ein bisschen mehr gewagt hätte, und dabei fehlte nur noch so weni g …
    Auf einmal vernahmen wir ein Klopfen an der Tür und eine Stimme im Flur. Es war Capitus Vater, der, wie so manches Mal, früher vom Amt nach Hause kam. «Mach auf, Nanata! Capitu, mach auf!» Nach außen hin war es dieselbe Situation wie am Vormittag, als ihre Mutter uns ertappte, doch nur nach außen hin; in Wirklichkeit gab es einen Unterschied. Bedenkt, dass am Vormittag alles abgeschlossen und Dona Fortunatas Schritte eine Warnung gewesen waren, damit wir uns zusammennähmen. Nun rangen wir fast miteinander, und es hatte noch nicht einmal einen Anfang gegeben.
    Wir hörten, wie der Riegel der Tür zum inneren Korridor zurückgeschoben wurde. Die Mutter machte ihm auf. Da ich nun schon alles gestehe, will ich auch zugeben, dass ich nicht die Zeit fand, die Hände meiner Freundin loszulassen. Ich hatte es zwar vorgehabt und auch versucht, doch kurz bevor der Vater eintrat, machte Capitu eine unerwartete Bewegung und presste ihren Mund auf den meinen. So gab sie mir freiwillig, was sie der Gewalt versagt

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