Dom Casmurro
Er hie ß … Nun ja, der Name tut nichts zur Sache, es genügt seine Geschichte. Er hatte ein «Loblied auf die heilige Monika» verfasst, das bei einigen Menschen großen Anklang fand und deshalb von den Seminaristen gelesen wurde. Er erhielt die Erlaubnis, es zu drucken, und widmete es dem heiligen Augustinus 37 .
Das ist die alte Geschichte. Jünger ist die, dass ich eines schönen Tages im Jahr 1882 , als ich wegen eines Geschäftsabschlusses im Marineministerium zu tun hatte, diesen Klassenkameraden wiedertraf, der dort Leiter einer Abteilung war. Er hatte sowohl das Seminar als auch die Geisteswissenschaften aufgegeben, hatte geheiratet und alles vergessen außer dem «Loblied auf die heilige Monika», einem circa neunundzwanzig Seiten starken Werk, das er immer noch an alle Leute verteilte. Da ich ein paar Informationen benötigte, holte ich sie bei ihm ein, und eine größere Auskunftsfreudigkeit hätte ich nicht finden können. Ausführlich und in klaren, präzisen Worten erklärte er mir alles. Natürlich kamen wir auch auf die Vergangenheit zu sprechen, auf unsere persönlichen Erinnerungen, auf das Studium, auf belanglose Ereignisse, auf ein Buch, ein Wort, ein Motto; die ganzen alten Geschichten kamen wieder hoch, und wir lachten zusammen und erfreuten uns der gegenseitigen Gesellschaft. Auf diese Weise lebten die Seminarzeiten wieder auf. Die Erinnerungen machten uns, vielleicht weil es um die Zeit im Seminar ging oder weil wir damals noch so jung waren, sehr glücklich, und falls es irgendwelche Schatten gegeben hatte, so tauchten sie in unseren Erinnerungen nicht auf. Er gestand mir, dass er alle anderen Kameraden aus den Augen verloren hatte.
«Ich auch, fast alle; sie sind natürlich, kaum dass sie die Ordination erhalten haben, in ihre Heimatprovinzen zurückgekehrt, und die von hier haben Vikariate außerhalb der Stadt angenommen.»
«Was für eine schöne Zeit!», seufzte er.
Und nach einem kurzen Zögern blickte er mich mit welken, ängstlichen Augen an und fragte: «Hast du denn mein ‹ Loblied › aufbewahrt?»
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich bewegte die Lippen, fand aber keine Worte. Schließlich fragte ich: «Loblied? Was für ein Loblied?»
«Mein ‹ Loblied auf die heilige Monika › .»
Ich erinnerte mich nicht sofort, aber er half mir auch nicht weiter auf die Sprünge, und nach kurzer Überlegung antwortete ich ihm, ich hätte es lange Zeit aufbewahrt, aber die Umzüge, die Reise n …
«Dann muss ich dir ein neues Exemplar bringen.»
Keine vierundzwanzig Stunden später tauchte er mit einem Heftchen bei mir auf, das zwar sechsundzwanzig Jahre alt, schmuddelig und vergilbt, aber absolut vollständig und zudem mit einer respektvollen handschriftlichen Widmung versehen war.
«Es ist das vorletzte Exemplar», sagte er. Jetzt habe ich nur noch eines, und das kann ich niemandem mehr geben.»
Als er sah, dass ich sein Opusculum durchblätterte, sagte er: «Sieh nach, ob du dich noch an eine Stelle erinnerst.»
In sechsundzwanzig Jahren sterben selbst die engsten und besten Freundschaften ab, doch die Höflichkeit, wenn nicht gar die Nächstenliebe, gebot mir, irgendeine Erinnerung an diese Seiten zu haben. Ich las also einige Sätze mit einer Emphase vor, die den Eindruck vermittelte, als lösten sie eine Erinnerung bei mir aus. Er stimmte mir zu, dass die Verse schön seien, zog aber selbst andere vor, die er mir zeigte.
«Kannst du dich noch gut erinnern?»
«Ja, sehr gut. Das ‹ Loblied auf die heilige Monika › ! Wie mich das an meine Jugend erinnert! Ich habe das Seminar nie vergessen, glaub mir. Die Jahre sind vergangen, ein Ereignis löste das nächste ab, eine Emotion die andere, neue Freundschaften wurden geschlossen, die ebenfalls wieder endeten, wie das Gesetz des Lebens es eben wil l … Aber mein lieber Freund, nichts kann die Zeit unseres Zusammenlebens auslöschen, die Zeit mit den Patres, die Schulstunden, die Pause n … erinnerst du dich noch an unsere Pausen? An Pater Lopes, o ja! Pater Lope s …»
Er starrte vor sich hin und hörte wohl meine Worte, ja, natürlich hörte er sie, doch er sagte nur einen Satz, und auch den erst nach einem langen Schweigen, begleitet von einem Seufzen und einem Augenaufschlag: «Mein ‹ Loblied › hat großen Anklang gefunden!»
55
Ein Sonett
Nachdem er diesen Satz ausgesprochen hatte, drückte er äußerst dankbar meine Hände, verabschiedete sich und ging. Ich blieb mit dem «Loblied» zurück. Und die
Weitere Kostenlose Bücher