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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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eine so hübsche Nummer gewesen!
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    Auf geht’s!
    Ich kam also ins Priesterseminar. Erspare mir die weiteren Abschiede, lieber Leser. Meine Mutter drückte mich an ihre Brust. Base Justina seufzte. Vielleicht weinte sie auch insgeheim. Es gibt Menschen, denen kommen nicht sofort oder vielleicht auch niemals die Tränen, und es heißt, sie würden mehr leiden als die anderen. Base Justina verbarg ihre innersten Gefühle, indem sie die Niedergeschlagenheit meiner Mutter auszugleichen suchte und mir Ratschläge und Anweisungen mit auf den Weg gab. Onkel Cosme, dem ich zum Abschied die Hand küsste, sagte lachend: «Auf geht’s, mein Junge, und komm mir als Papst wieder!»
    José Dias, der sehr gefasst und ernst war, sagte anfangs gar nichts. Wir hatten uns am Vorabend in seinem Zimmer unterhalten, wo ich ihn aufgesucht hatte, um zu erfragen, ob das Seminar nicht doch noch abzuwenden sei. Das war es nicht, aber er machte mir Hoffnung und munterte mich ziemlich auf. In einem knappen Jahr seien wir bereits an Bord eines Schiffes.
    Da mir das sehr kurz vorkam, erklärte er: «Vielleicht ist das Jahresende auch keine gute Zeit, um den Atlantik zu überqueren. Ich werde mich erkundigen; sollte dem so sein, fahren wir erst im März oder April.»
    «Ich kann doch auch hier Medizin studieren.»
    José Dias fuhr ungeduldig mit den Fingern über seine Hosenträger, presste die Lippen aufeinander und lehnte meinen Vorschlag schließlich in aller Form ab.
    «Deine Idee wäre durchaus gutzuheißen», sagte er, «würde die Medizinische Hochschule nicht ausschließlich diese veraltete Allopathie lehren. Die Allopathie ist der größte Irrtum aller Zeiten, und sie wird sterben, denn sie ist Mord, Lüge und Illusion. Und sollte jemand dir sagen, dass du ja jenen Teil der Wissenschaft an der Medizinischen Hochschule erlernen könntest, der allen Systemen gemein ist, dann ist das wohl richtig. Physiologie, Anatomie, Pathologie sind weder allopathisch noch homöopathisch, doch die allopathische Therapie ist ein Irrweg, deshalb lernt man besser gleich alles zusammen, und zwar mit Büchern und aus den Mündern von Menschen, die die Wahrheit vermittel n …»
    So hatte er am Vorabend in seinem Zimmer gesprochen. Nun sagte er nichts beziehungsweise zog es vor, den einen oder anderen Aphorismus über die Religion und die Familie vorzutragen. Ich erinnere mich an den hier: «Teilt man ihn mit Gott, so wird man ihn behalten.» Als meine Mutter mir den letzten Kuss gab, seufzte er: «Ein Bild der reinen Liebe.»
    Es war der Morgen eines schönen Tages. Die Negerjungen tuschelten, die Sklavinnen baten um meinen Segen: «Segnen Sie uns, Senhor Bentinho! Und vergessen Sie nicht Ihre Joana! Ihre Miquelina wird für Sie beten, ehrwürdiger Herr!» Auf der Straße machte José Dias mir noch einmal Hoffnung: «Halte ein Jahr aus; bis dahin ist alles geregelt.»
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    Loblied auf die heilige Monika 35
    Im Semina r … ach, ich werde nicht vom Seminar erzählen, denn dafür reicht ein Kapitel nicht aus. Nein, mein lieber Leser. Vielleicht schreibe ich irgendwann einmal einen Kurzbericht über das, was ich dort gesehen und erlebt habe, über all die Menschen, mit denen ich Umgang pflegte, über die Gebräuche und all das Übrige. Wenn einen die Sucht des Schreibens erst mit fünfzig überfällt, lässt sie einen nie wieder los. In jungen Jahren kann man sich vielleicht noch davon kurieren. Ohne weiter ins Detail zu gehen, möchte ich an dieser Stelle von einem Kameraden berichten, der Verse in der Art Junqueira Freires 36 verfasste, welcher kurz zuvor als Dichter-Mönch bekannt geworden war. Mein Mitschüler empfing die Weihen. Jahre später traf ich ihn im Chor der Kirche São Pedro wieder und bat ihn, mir seine neuesten Gedichte zu zeigen.
    «Was für Gedichte?», fragte er mich leicht verwirrt.
    «Deine Gedichte. Erinnerst du dich nicht mehr an das Seminar?»
    «Ach so!», rief er mit einem Lächeln aus.
    Er lächelte, während er in einem aufgeschlagenen Buch nach der Uhrzeit suchte, zu der er am nächsten Tag singen musste, und gestand mir, dass er seit der Priesterweihe keine Gedichte mehr verfasst habe. Das seien jugendliche Spinnereien gewesen. Nun habe es sich ausgesponnen, und das sei gut so. Dann sprach er in prosaischen Worten von unendlich vielen Alltagsdingen, von dem teuren Leben, von einer Predigt des Paters X, von einem Vikariat in Minas Gerai s …
    Das Gegenteil von ihm war ein Seminarist, der nicht die kirchliche Laufbahn einschlug.

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