Dom Casmurro
Reliquienmuseum: alte Kämme, ein Stück von einer Mantille, ein paar Kupfermünzen aus den Jahren 1824 und 1825. Und damit auch wirklich alles alt wäre, suchte sie auch sich selbst alt zu machen. Aber das gelang ihr, wie bereits berichtet, nicht ganz.
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Ein ehrlicher Vorwand
Nein, der Gedanke, zur Beerdigung zu gehen, entsprang nicht den süßen Erinnerungen an die Kutsche. Er hatte einen anderen Ursprung: Wenn ich am nächsten Tag zur Beerdigung ginge, müsste ich nicht ins Seminar und könnte Capitu einen weiteren, etwas längeren Besuch abstatten. Das war es. Die Erinnerung an die Kutsche kam nachträglich hinzu, doch der unmittelbare Grund war dieser gewesen. Unter dem Vorwand, mich nach Fräulein Gurgels Befinden zu erkundigen, würde ich noch einmal in die Rua dos Inválidos gehen. Ich stellte mir vor, dass alles wie an diesem Tage wäre: Gurgel beunruhigt, Capitu mit mir auf dem Canapé, unsere Hände ineinander verschlungen, das Frisiere n …
«Ja, ich werde Mama darum bitten.»
Ich öffnete das Gittertürchen. Ehe ich eintrat, glaubte ich die Stimme der Mutter des Toten zu hören, wie kurz zuvor die des Vaters. Leise wiederholte ich ihre Worte: «Mein armer Manduca!»
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Das Verbot
Meine Mutter war sehr überrascht, als ich sie bat, zur Beerdigung gehen zu dürfen.
«Dann verpasst du doch einen Tag im Semina r …»
Ich erklärte ihr, dass Manduca mir sehr gewogen gewesen sei, außerdem seien es arme Leut e … Ich versuchte es mit allem, was mir einfiel. Aber Base Justina war dagegen.
«Du meinst, er sollte nicht gehen?», erkundigte sich meine Mutter.
«Ja, ich finde, er sollte nicht gehen. Was ist das für eine Freundschaft, von der ich gar nichts weiß?»
Base Justina setzte sich durch. Als ich dem Hausfreund davon berichtete, lächelte er nur und sagte, der geheime Grund der Base sei vermutlich, dass sie der Beerdigung nicht «den Glanz meiner Person» gönne. Was immer es war, ich war verstimmt.
Am nächsten Tag missfiel mir der Grund bereits nicht mehr, und später löste er sogar Genugtuung in mir aus.
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Die Polemik
Am nächsten Tag kam ich am Haus des Verstorbenen vorbei, ohne jedoch stehen zu bleiben oder einzutreten – oder, falls ich doch stehen blieb, höchstens einen kurzen Augenblick, nicht einmal so lange, wie ich brauche, um euch darüber zu berichten. Wenn ich mich nicht irre, lief ich sogar schneller, aus Angst, man könnte mich rufen wie am Vortag. Und da ich nicht zur Beerdigung ging, hielt ich lieber etwas Abstand. Während ich so lief, dachte ich an den armen Teufel.
Wir waren keine Freunde gewesen und kannten uns auch nicht besonders gut. Eine Nähe hatte es nicht gegeben. Was für eine Nähe hätte es auch zwischen seiner Krankheit und meiner Gesundheit geben können? Für kurze Zeit hatten wir ein wenig miteinander zu tun gehabt. Ich dachte daran und erinnerte mich an Einzelheiten. Eigentlich war es nur eine Polemik gewesen, die vor zwei Jahren zwischen uns entflammt war, wege n … Vermutlich könnt ihr nicht glauben, weswegen es war. Es war wegen des Krimkrieges.
Manduca lebte in häuslicher Abgeschiedenheit, lag auf seinem Bett und las zu seinem Zeitvertreib. Jeden Sonntagnachmittag zog sein Vater ihm ein dunkles Hemd über und brachte ihn in den hinteren Teil des Ladens, von wo aus er eine Handbreit Straße und die vorbeikommenden Menschen sehen konnte. Das war seine einzige Abwechslung. Dort sah ich ihn einmal, und mein Entsetzen war groß. Die Krankheit fraß bereits Teile seines Fleisches weg, und seine Finger krümmten sich. Der Anblick war wahrlich nicht schön. Ich war damals ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Als ich ihn zum zweiten Mal dort sah, sprachen wir über den gerade entbrannten Krimkrieg, und er sagte, die Alliierten würden siegen. Ich behauptete das Gegenteil.
«Wir werden es ja sehen», erwiderte er. «Nur wenn es auf dieser Welt keine Gerechtigkeit mehr gibt, werden die Alliierten verlieren, aber das ist unmöglich, denn die Gerechtigkeit steht aufseiten der Alliierten.»
«Nein, nein, aufseiten der Russen.»
Natürlich vertraten wir die Meinungen der Zeitungen unserer Stadt, welche wiederum von den ausländischen abschrieben, aber vielleicht hatte jeder von uns ja auch seine eigene Haltung und sein eigenes Temperament. Ich war in meinem Denken stets ein wenig moskaufreundlich gewesen und sah daher Russland im Recht. Manduca tat dasselbe mit den Alliierten, und als ich am dritten Sonntag in den Laden kam, sprachen wir
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