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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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einer Allianz wie der anglo-französischen fehlte, denn das bloße Zusammenspiel von Medizin und Pharmazie kann man nicht als solche bezeichnen. Am Ende starb er, wie auch die Staaten sterben, doch in unserem besonderen Fall ging es nicht darum, ob die Türkei sterben würde, denn der Tod verschont eigentlich niemanden, sondern darum, ob die Russen irgendwann Konstantinopel einnehmen würden. Das war die große Frage für meinen leprakranken Nachbarn unter seiner traurigen, zerrissenen und stinkenden Flickendecke.
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    Eine tröstliche Erkenntnis
    Natürlich stellte ich diese Überlegungen nicht damals auf dem Weg ins Seminar an, sondern heute, in meinem Arbeitszimmer in Engenho Novo. Damals stellte ich eigentlich keine an außer die, dass ich meinem Nachbarn Manduca einmal das Leben erleichtert hatte. Wenn ich mir das heute überlege, denke ich, dass ich ihm nicht nur das Leben erleichterte, sondern ihn sogar glücklich machte. Und diese Erkenntnis tröstet mich. Fortan werde ich nie mehr vergessen, dass ich einen armen Teufel zwei oder drei Monate glücklich machte, indem ich ihn sein Leid und vieles mehr vergessen ließ. Das könnte nämlich wichtig werden für die Endabrechnung meines Lebens. Sollte es in jener anderen Welt Auszeichnungen für unbeabsichtigte gute Taten geben, werde ich damit zwei oder drei meiner vielen Sünden verrechnen können. Was Manduca betrifft, so glaube ich nicht, dass es eine Sünde war, gegen die Russen zu argumentieren; wenn aber doch, dann büßt er vielleicht schon seit vierzig Jahren für das Glück, das er zwei bis drei Monate lang verspürte – woraus er (zu spät) schließen wird, dass es doch besser gewesen wäre, alleine zu seufzen und gar nicht zu argumentieren.
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    Der Teufel ist nicht so hässlich, wie man ihn darstellt
    Manduca wurde ohne mich beerdigt. Anderen erging es ebenso, ohne dass mir das etwas ausgemacht hätte, doch in diesem Fall schmerzte es mich aus besagten Gründen. Ich empfand eine seltsame Melancholie, wenn ich an diese erste Polemik meines Lebens zurückdachte, an die Freude, mit der Manduca meine Briefe entgegengenommen und sich daran gemacht hatte, ihren Inhalt zu widerlegen. Und dann noch die süßen Erinnerungen an die Kutsch e … Doch die Zeit löschte die Wehmut und die auferstanden Erinnerungen schnell wieder aus. Es war nicht nur sie. Zwei Menschen halfen ihr dabei: Capitu, mit deren Bild vor Augen ich in der Nacht einschlief, und der andere, von dem ich im nächsten Kapitel berichten werde. Der Rest dieses Kapitels dient nur dazu, meine Leser – von denen der eine oder andere mein Buch vielleicht mit mehr Aufmerksamkeit liest, als der Kaufpreis dies verlangt – zu bitten, daraus den unweigerlichen Schluss zu ziehen, dass der Teufel nicht so hässlich ist, wie man ihn darstellt. Damit will ich sage n …
    Damit will ich sagen, dass mein Nachbar aus Matacavalos, indem er seine Krankheit mit einer antirussischen Haltung linderte, seinem faulenden Fleisch einen geistigen Glanz verlieh, der dieses tröstete. Gewiss gibt es bessere Arten des Trostes, und am allerbesten ist es, gar nicht erst an diesem oder jenem Übel zu erkranken. Aber die Natur ist so göttlich, dass sie sich über solche Gegensätze freut und dem Abstoßendsten oder am meisten Geplagten mit einer Blume winkt. Und vielleicht erwächst daraus ja die schönste aller Blumen. Mein Gärtner behauptet, Veilchen bräuchten Schweinedung, um besonders gut zu riechen. Ich habe es nicht geprüft, aber vermutlich ist es wahr.
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    Ein Freund für einen Verstorbenen
    Nicht nur die Zeit besaß eine auslöschende Kraft, sondern auch mein Mitschüler Escobar, der uns am Sonntag noch vor zwölf Uhr in der Rua de Matacavalos besuchen kam. So ersetzte ein Freund einen Verstorbenen, ein Freund, der ungefähr fünf Minuten lang meine Hand in der seinen hielt, als hätte er mich monatelang nicht gesehen.
    «Bleibst du zum Essen, Escobar?»
    «Ja. Deswegen bin ich gekommen.»
    Meine Mutter dankte ihm für die Freundschaft, die er mir entgegenbrachte, und er antwortete ihr sehr höflich, wenngleich ein wenig verhalten, als fände er nicht sofort die richtigen Worte. Du weißt, lieber Leser, dass das gar nicht seiner Art entsprach, denn er war durchaus redegewandt, aber der Mensch ist nicht in allen Lebenslagen derselbe. Was er im Wesentlichen sagte, war, dass er mich meiner guten Eigenschaften und meiner hervorragenden Erziehung wegen schätze. Im Seminar hätten mich alle sehr gern, aber das könne

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